Orhan Kipcak unterrichtet Media & Interaction Design an der FH Joanneum in Graz.

Foto: FH Joanneum Graz

"Handy-TV, wie es aktuell in Österreich eingeführt wird, hat für die Medienwirtschaft einen großen Vorteil. Es funktioniert ähnlich wie das traditionelle Fernsehen, bei dem die Programmanbieter ihr Programm an viele Empfänger über eine Sendetechnologie verteilen, zu dem nur ein kleiner Kreis auserwählter Medienanbieter Zugang haben", so Orhan Kipcak. Er unterrichtet Media & Interaction Design an der FH Joanneum in Graz und beschäftigt sich u.a. mit der Entwicklung von Formaten für das mobile Fernsehen. Im April war er zu Gast bei der TVienna und referierte über Darstellungsformen bei interaktivem und mobilem Fernsehen.

Anarchistisches Element ausgeschaltet

"Im Gegensatz zum Internet, bei dem im Prinzip jeder ein Fernsehprogramm über die diversen Streaming-Techniken anbieten kann, ist dies beim DVB-H-Sende-Standard nicht möglich. Das anarchistische Element, das bei internetbasierten Fernsehformen ein schwer kalkulierbares Moment bildet, ist ausgeschaltet". Es sei also wenig erstaunlich, dass die traditionellen Big Player sich so vehement mit der Einführung dieser Technologie befassen, so Kipcak. "Man bleibt unter sich, das Geschäft ist kalkulierbar und die herkömmlichen Vorstellungen von Medienmarketing, was Zielgruppendefinition, Formatentwicklung, Verwertungsszenarien etc. angeht, bleiben gültig."

Zwang zur Prägnanz

Bei Handy-TV gehe es darum, sogenannte "Restzeitflächen", z.B. Wartezeiten auf Verkehrsmittel, mit medialem Konsum zu füllen. Diese Restzeiten liegen laut Studien bei drei bis sieben Minuten. Es gebe daher die dramaturgische Empfehlung, Formate für das Mobile TV müssten sich genau in dieses kleine Zeitfenster fügen, sie sollten nicht länger sein, um dem Seher die frustrierende Unterbrechung des Konsums zu ersparen. Dieser Zwang zur Prägnanz könne durchaus als positives Kriterium gesehen werden. Kipcak: "Die Literaturgeschichte bestätigt dies. Sie hat zahlreiche Formen hervorgebracht, bei denen die Kürze eine zentrale ästhetische Kategorie bildet. Das Epigramm, der Aphorismus, lyrische Formen wie das Haiku oder journalistische wie die Glosse zeigen die Potenziale die im Knappen liegen".

Auch die Entwicklungsgeschiche der dramatischen Formen vom Theater bis zum Fernsehen zeige eine "Tendenz zur Verkürzung". Wenn mit dem Handy-TV also neue und immer kürzere narrative Formen entstehen, so entspreche dies einem kulturellen Prozess, "der schon lange am Laufen ist und den man aber durchaus als viel versprechende Chance betrachten kann, neue dramatische und dramaturgische Kategorien zu entwickeln".

"Mobisodes"

Unter dem Druck des Zeit-Paradigmas entstehen Erzählformen für die sich in den USA die Bezeichnung Mobisode etabliert hat. "Mobisode ist eine vom Medienkonzern Fox markenrechtlich geschützte Bezeichnung für Kürzest-TV-Formate, der sich als Gattungsbezeichnung allgemein durchgesetzt hat. Der Begriff entsteht aus einer Kombination der Worte Mobile und Episode bei dem auch das Wort Soap mitschwingt", erzählt Kipcak. Vox hat einige Mobisodes entwickelt, u.a. übrigens auch ein Spin-off von "24", bei der eine Episode genau eine Minute dauert.

"Die Macher dieser Mobisodes setzen dabei auf die Vertrautheit des Publikums mit den Spielregeln der Fernsehgenres und forcieren dabei die Stereotypen des benutzten Genres:. Sie scheinen der Überlegung zu folgen: Je kürzer die Form, umso stereotyper müssen Charaktere und Erzählung sein, denn es gibt nicht genug Zeit, um sich mit komplexen Psychologien und Sachverhalten vertraut zu machen". Das Mobile TV würde generell die Chance bieten, sowohl formal als auch dramaturgisch innovative Formen zu finden, "diese Chance wird aber kaum genutzt", so Kipcak.

Auch bei den Serien, die im deutschsprachigen Raum speziell für Handy TV produziert wurden, dominieren Formen, die bereits fester Bestandteil des kulturellen Fundus sind, "die Serien entsprechen alle bereits vertrauten Gattungen". Er nennt hier als Beispiel die von der deutschen UFA produzierte Serie "Kill your Darling", ein Horrorfilmgenre im Westentaschen-Format. "Kill your Darling" wurde übrigens bei der Diagonale 2007 vorgestellt, "die Produktion der UFA-Tochter Phoenix-Film konnte anscheinend nicht an Handy TV-Betreiber verkauft werden. Die fertigproduzierte Serie wird jetzt wahrscheinlich von ProSieben als konventionelle Serie vermarktet".

"Killing your Darling": Nina, Jenny und Mike flüchten im Berliner Untergrund vor dem Serienmörder "Der Fratzenschneider". Dreißig Folgen mit wurden produziert
Foto: Ufa

Im Unterschied zu den amerikanischen Mobisodes lasse man sich aber etwas mehr Zeit. Eine Episode der im Stil des Horrorklassikers 'Blair Witch Project' gestalteten Serie dauert genau drei Minuten. Eine Folge des österreichischen Handy-Formats 'Anna und Du', eine Serie die den Alltag und die Karriere einer real existierenden Pop-Band in den Mittelpunkt stellt, wird in sieben Minuten-Happen verabreicht.

"Anna und Du" ist eine Kooperation zwischen dem ORF, A1 und dem Musiklabel Universal und wurde im letztjährigen österreichischen Versuchsbetrieb für DVB-H gesendet. "Das Ziel dieser Allianz ist offensichtlich, die Band zu lancieren. Wir können gespannt sein, ob das Vorhaben gelingt. Interessant an diesem Projekt ist aber die Medienallianz zwischen Fernsehanstalt, Major-Label und Telecom-Anbieter. Es ist wahrscheinlich, dass Kooperationen dieser Art sich etablieren. Ein altes Marketingkonzept im neuen Gewand", so Kipcak. Ihn erinnert dieses Konzept an die Geschichte der Band "The Monkees", die von der amerikanischen NBC 1966 in den Mittelpunkt einer Fernsehserie gestellt wurde und dann mit einigen Hits (u.a. I'm A Believer), in den Chart erfolgreich war.

Voting, Teleshopping als interaktive Elemente

Die neuen Handy-TV-Formate versuchen, interaktive Elemente in die Handlung einzubauen. Aktuell seien dies einfache Voting-Systeme. "So gibt es nach jeder Folge von 'Anna und Du' ein Voting, das (angeblich) den weiteren Verlauf der Handlung disponiert. Diese Voting-Möglichkeiten sollen wohl so etwas wie eine Fan-Community etablieren helfen. Ob diese interaktiven Funktionen vom Publikum angenommen und benutzt worden sind, war nicht zu erfahren".

Überhaupt werden interaktive Elemente, das der DVB-H Standard bereitstellt, indem er einen Rückkanal vom Benutzer zum Sender möglich macht, eine wichtige Rolle spielen. "Dabei geht es hauptsächlich um Teleshopping-Produkte, die so geordert werden können und um Mehrwertdienste, die über diesen Rückkanal verkauft werden sollen. Studien empfehlen, diese Wertschöpfungszenarien nur vorsichtig und mittelfristig zu implementieren, um nicht ein Publikum zu verschrecken, das sich nur langsam von der 'Ökonomie des Geschenks', die das Internet gebracht hat, entwöhnen lässt." (Astrid Ebenführer, derStandard.at)