Die englische Politik verabscheut lange Übergangszeiten. Vier Tage nach der Wahl übernimmt heute, Montag, der neue Mann das Kommando in London und damit den wichtigsten kommunalpolitischen Job des Landes. Alexander Boris de Pfeffel Johnson, allseits nur Boris genannt, muss den 7,5 Millionen Einwohnern der britischen Metropole rasch zeigen, dass er das Zeug zum guten Bürgermeister hat.

Daran gibt es berechtigte Zweifel. Der 43-jährige Journalist mit dem markanten weißblonden Haarschopf - er ist in zweiter Ehe mit der Anwältin Marina Wheeler verheiratet, mit der er zwei Söhne und zwei Töchter hat - kann brillant schreiben und war häufig Gast in populären Comedy-Shows. Tiefes Verständnis für die Chancen und Probleme der Olympiastadt 2012 hat er bisher nicht demonstriert, zudem fehlt ihm jegliche Verwaltungserfahrung. Johnson braucht ein gutes Team, und er muss, wie versprochen, "mit voller Kraft" daran arbeiten, sich das Vertrauen auch jener Londoner zu erarbeiten, die seinem Vorgänger Ken Livingstone die Treue gehalten haben.

Der neue Bürgermeister stammt aus wohlhabendem Elternhaus, besuchte das Elite-Internat Eton und studierte klassische Sprachen in Oxford. Er spricht mit dem näselnden Selbstbewusstsein der englischen Oberschicht. Dem Wahlkampf der Labour-Party haftete deshalb ein hässlicher Hauch von Klassenkampf an: Johnson sollte als amateurhafter Spaßvogel gekennzeichnet werden, der von den Problemen normaler Bürger keine Ahnung habe. Der bisherige Unterhaus-Abgeordnete für den feinen Wahlkreis Henley konterte mit detaillierten Politikvorschlägen zu Kriminalitätsbekämpfung, öffentlichem Nahverkehr und Stadtentwicklung. Er will die von Livingstone eingeführte City-Maut für Autos beibehalten, die Mautzone aber verkleinern.

Wie er Londons Charakter als Gartenstadt beibehalten, gleichzeitig aber den dringend nötigen sozialen Wohnungsbau fördern will, muss der neue Stadtchef erst noch erklären. Verhandlungsgeschick wird er im Umgang mit der beinharten U-Bahn-Gewerkschaft brauchen, deren Streikfreude vielen Londonern auf die Nerven geht.

Als das Resultat nach chaotischer Auszählung in der Nacht zum Samstag endlich feststand, nannte der Frischgewählte seinen Vorgänger "einen vorzüglichen Diener unseres Gemeinwesens" und bat Ken, ihm als Berater zur Seite zu stehen. Der großzügigen Geste muss Boris im Regierungsalltag Taten folgen lassen. (Sebastian Borger, DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2008)