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Oberst Franz Polzer am Tatort in Amstetten. Der Polizist beschreibt den Verdächtigen als "Perfektionisten". Die Kinder des 73-jährigen Josef F. seien "so schnell wie möglich weg vom herrischen Vater" gezogen

Foto: AP Photo/Diether Endlicher)
Amstetten - Immer mehr Details kommen im Inzestfall in Amstetten ans Licht: Wie Chefermittler Franz Polzer bei einer Pressekonferenz am Montag sagte, hatte der Josef F. Zugänge zu dem Verlies gelegt, in dem er seine Tochter 24 Jahre lang gefangen gehalten und missbraucht haben soll. Das Verlies war offenbar schon im Jahr 1978 geplant gewesen, also sechs Jahre, bevor das Martyrium von Elisabeth F. begann.

Der erste Zugang war mit einem Betonklotz blockiert und umfasste außerdem eine Stahl- und eine Absperrtür. Er dürfte als Eingang zum ersten, ursprünglichen Teil des Verlieses gedient haben, der sich direkt unter dem Altbauteil des Hauses befindet und etwa 35 Quadratmeter groß war. Dort habe die Tochter die ersten Jahre verbracht, so Polzer. Als die Kinder zur Welt kamen, habe Josef F. das Geheimverlies Schritt für Schritt erweitert. Insgesamt war das Gefängnis mit acht versperrbaren Türen und elektronisch gesichert. Laut Polzer stammt der Altbau des Hauses des Verdächtigen aus etwa 1890. Schon 1978 wurden Pläne für den L-förmigen Zubau eingereicht, wobei der Verliesbereich offenbar damals schon geplant und im Zuge der Bauarbeiten mit umgesetzt wurde.

Die Ermittlungsarbeiten am Tatort werden in dieser Woche abgeschlossen, sagte NÖ Sicherheitsdirektor Franz Prucher am Montag in Zeillern bei der Pressekonferenz zum Inzest-Fall. Weiters werden Befragungen im Umfeld des Verdächtigen geführt. Insgesamt mehr als 100 Mieter wohnten im Lauf der Jahre in dem Mehrparteienhaus des Verdächtigen. Es gehe darum, das Privatleben des 73-Jährigen zu rekonstruieren.

Opfern geht es besser

Der Zustand der jungen Frau, deren Einlieferung am 19. April den Fall ins Rollen brachte, habe sich "Gott sei Dank gebessert und leicht stabilisiert", sei aber nach wie vor ernst, sagte Primarius Albert Reiter vom Landesklinikum Mostviertel Amstetten. Um sie künstlich beatmen zu können, werde die Patientin weiter im Tiefschlaf gehalten. Alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen werden mit Experten verschiedener Fachrichtungen geklärt. Reiter erklärte, keine Prognose über Dauer und Ausgang der Krankheit geben zu können. Er hoffe, dass die Patientin wieder gesund werde.

Primarius Berthold Kepplinger vom neuropsychiatrischen Landesklinikum Mauer berichtete Erfreuliches zum Gesundheitszustand jener Familienmitglieder, die seit 24 Jahren bzw. seit ihrer Geburt ohne Tageslicht eingesperrt gewesen waren: Die Lichtempfindlichkeit bessere sich, ebenso das Hautkolorit und die Raumorientierung der Kinder. Laut Kepplinger habe die heute 42-Jährige von ihrem Vater verlangt, ihr und den Kindern Vitamin-D-Präparate und eine UV-Lampe in das völlig fenster- und öffnungslose Verlies zu bringen. Der Fünfjährige fasziniere durch Witz und Kontaktfreudigkeit, so Kepplinger.

Die Familie wachse langsam zusammen, schilderte er den von der Klinik ermöglichten Tagesablauf eines "normalen" Lebens: Mutter und Großmutter bereiten gemeinsam Frühstück und Abendessen zu, die Kinder "bauen" ihre Betten. Der Arzt überbrachte den Dank der Familie für die unglaubliche Anteilnahme. Gleichzeitig äußerte er den dringenden Appell, der Familie Zeit und Ruhe zu lassen.

Bild des Verdächtigen

Die zweite Ermittlungsschiene konzentriert sich auf den Tatverdächtigen selbst - zum Beispiel, wie hoch er verschuldet ist. Das Haus in Amstetten soll mit 2,2 Millionen Euro belastet sein. "Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine Höchstbetragshypothek und nicht um die tatsächliche Verschuldung", erklärte Gerhard Sedlacek von der Staatsanwaltschaft St. Pölten. Mittwoch will die zuständige Staatsanwältin den Verdächtigen erstmals einvernehmen.

Gutachterin aus Linz bestellt Ein psychiatrisches Gerichtsgutachten wurde bereits in Auftrag gegeben. Adelheid Kastner, Primarärztin an der Linzer Nervenklinik Wagner-Jauregg, soll klären, ob der 73-jährige zurechnungsfähig ist. Gemäß neuer Strafprozessordnung könnte die Verteidigung Einspruch dagegen erheben. Was Verteidiger Rudolf Mayer aber nicht vorhat. Er wird wahrscheinlich ein eigenes Gutachten in Auftrag geben, dessen Verfasser - und auch das ist ein Strafprozess-Novum - in der Hauptverhandlung Fragen an die bestellte Gerichtsgutachterin stellen darf. Seiner Meinung nach gehöre Josef F. jedenfalls nicht ins Gefängnis, sondern in eine geschlossene Anstalt, sagte Mayer am Sonntag zum Standard.

Das Bild, das die Ermittler bisher von dem U-Häftling gewonnen haben, beschreibt Polzer so: "Ein Perfektionist, der allerorts im Haus seine Handschrift hinterlassen hat." Durchaus auch "fürsorglich". Zumindest für jene Kinder von Elisabeth F., die er zu sich ins Haus geholt hatte. "Für sie baute er gerade einen Indoor-Pool", so Polzer. Die Kinder, die er mit seiner Ehefrau hat, sollen hingegen nur ein Ziel verfolgt haben: "So schnell wie möglich weg vom herrischen Vater", schildert der Kripo-Chef.

Details aufgetaucht

Als liebevoll habe Elisabeth F. ihre Mutter beschrieben, weitere Details über Aussagen der 42-Jährigen machte Polzer aber nicht. Denn am Wochenende sind in Medien bereits Details aus ersten Einvernahmeprotokollen aufgetaucht. Grundsätzlich haben Polizei, Staatsanwaltschaft und die Verteidigung Einsicht in Protokolle.

Dass er etwas an die Öffentlichkeit gebracht habe, wies Rechtsanwalt Mayer energisch zurück. "Ich habe den Akt erst am Freitag erhalten, da war schon viel in den Medien zu lesen", so Mayer. Rechtlich ist es übrigens gar kein Vergehen, wenn ein Verteidiger im Vorverfahren aus einem Akt zitiert.

Mayer bestätigte, dass es anonyme Drohungen gegen ihn gebe, weil er Josef F. vertritt. Einschüchtern will sich der Anwalt aber nicht lassen: "Auch Beschuldigte haben Rechte. Ein Chirurg muss ja auch operieren, unabhängig davon, wer auf dem Tisch liegt."

Politisch wird weiter über eine Erhöhung des Strafrahmens bei Sexualdelikten diskutiert. Letzteres und die Abschaffung der Tilgungsfrist forderte BZÖ-Chef Peter Westenthaler in der ORF-"Pressestunde". (APA, Kerstin Scheller, Michael Simoner/DER STANDARD Printausgabe, 5.5.2008)