... nur an das Kaiserpaar denkt, an Bürstenbackhendlbart und Veilchensorbet, sondern auch an Sisi und F. Der eigentliche Skandal ist auch nicht die Ignoranz der Nachbarn oder dass man nun die Geiseln in Algerien vergessen hat, ja nicht einmal der ungeheuerliche Inzest selbst ist der Skandal, sondern die widerliche Scheinmoral, die nun aus allen Medien trieft wie brauner Saft aus einer faulen Frucht.

Wenn etwa in der Kronen Zeitung die Thailandaufenthalte, bei denen sich der Ingenieur möglicherweise mit zwangsprostituierten Minderjährigen verlustiert hat, als Herrenurlaube beschönigt werden, ist das ebenso verlogen und zum Kotzen, wie wenn man die Summe alles Bösen nun nur in Josef F. kulminiert sieht, während parallel dazu Menschenhandel toleriert wird, sich Staatsbeamte mit Minderjährigen beglücken, Asylbewerber keine Arbeitserlaubnis erhalten außer in der Prostitution, man Menschen um vier Uhr nachts aus den Betten reißt, um sie abzuschieben.

Der eigentliche Skandal ist, dass man in Österreich denkt, außer den wenigen schrecklichen Einzelfällen, in denen jemand seine Fantasie auslebt, wäre alles gut.

Insofern ist der belgische Effekt - niemand kennt den Ministerpräsidenten, aber jeder Marc Dutroux -, der Österreich zwar nicht als Land der Kinderschänder, aber dafür als Reich der Kellerverliese und Weggesperrten, als Land der Bunker, Bunkerer und Buckler erscheinen lässt, vielleicht heilsam.

Neben vielen charmanten, aufrechten, liebenswerten und großartigen Menschen ist Österreich immer noch ein Land der Sprachlosigkeit und seelischen Verstümmelungen, in dem es viele verdruckste, verklemmte und gebrochene Eigenbrötler gibt. Ein Land ohne Zivilgesellschaft, wo eine Aufklärung niemals stattgefunden hat, ein Land der biederen Familientyrannen und Kellerdespoten, die nach ihren eigenen Gesetzen leben, ein Land der Alltagsfaschismusdümmlichkeiten.

Da kommt der Ball, der uns jetzt zugespielt wird, gerade recht. Die EURO gibt den Austriaken die Chance, sich einen Monat lang selbst zu vergessen und auch der Welt ein anderes Bild zu präsentieren als das der Eingesperrten und Verliese.

Die EURO ist die Gelegenheit, der Welt zu zeigen, dass Österreich auch anders ist, offen, weltbesoffen, aufgeschlossen, tolerant. Ein Land voller Naturschönheiten und netter Menschen, denen man freilich allen - dieser pickige Nachgeschmack wird bleiben - eine blühende, manchmal bestialische Fantasie zutraut.

Egal, wie einfallslos der Fußball ist. (Franzobel; DER STANDARD Printausgabe 22. April 2008)