Der Fischmarkt von Kumkapi in Istanbul: frische Ware, aus- und einladend präsentiert.

Foto: Barbara Maier
Am Sahaflar, am Platz der Buchhändler auf dem Weg vom ältesten Basar Istanbuls zur Universität, stapeln sich in den rundherum offenen Läden ausladend broschierte Bücher. Vor dem Ausgang steht ein Mann, vor sich ein dampfendes Ungetüm aus Messing, ein überdimensionaler Samovar. Ein angenehmer Geruch breitet sich aus. Wir bestellen einen Gewürz-Salep, ein sehr heißes, mit Zimt bestreutes Getränk. Der erste Schluck verbrennt die Zunge. Es erinnert an dünn gekochten Milchreis, nur Reis ist nicht dabei.

Preisgünstiges Heilmittel

Inanc Atilgan, unser türkischer Freund und Guide, fungiert als Dolmetscher zwischen dem Koch und erklärt uns die Zubereitung. Milch wird mit Zucker und Vanille zum Kochen gebracht, mit dem Pulver des Salep gewürzt und im fahrenden Kessel den Vorbeigehenden angeboten. Es wärmt nicht nur Hände und verbrennt den Ungeduldigen die Zunge. Salep, unser giftiges Knabenkraut, hellt die Stimmung der verfrorenen Menschen auf, wirkt gegen Husten, Verdauungsbeschwerden und Appetitlosigkeit und ist eine leicht verdauliche Nahrung, wie wir im "Naturheilkundebuch des Balkans" von Nikola Gelencir nachlesen können. Ein richtiges Getränk zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Um 1,5 Ytl (85 Cent) ein preisgünstiges Heilmittel, das von innen und von außen wärmt.

Überquellendes Istanbul

Istanbul kommt erst allmählich mit dem Aufstieg der Sonne am Horizont zu sich, wird aus seiner Trägheit geweckt, wird allmählich lauter und voller, bis es um die Mittagszeit aus allen Poren quillt und schließlich übergeht. Den Geruch des Meeres atmen wir erstmals auf dem Fischmarkt von Kumkapi ein, mit dem Blick auf die Einfahrt zum Bosporus, umgeben von Rochen, Krebsen, Langusten und Hummern, angestarrt vom Knurrhahn mit weit ausladenden Flügeln, beäugt von der "Grdobina". Die meist noch lebenden Fische werden von den Verkäufern ständig mit Wasser aus Schläuchen besprüht. Einladend präsentieren sie die gute Ware auf runden Platten wie Stillleben. Am liebsten möchte man das Bild ewig betrachten.

Ankara. Kalt, der Tag wunderschön. Die Berge rundherum schneebedeckt, die Wiesen mit Schneeschaum überzogen, die Straßen breit. Falls sich ein Besucher über einen grünen Hügel mitten in der sonst so planmäßig verbauten Stadt wundert, es handelt es sich um einen "heiligen Hügel", darunter liegen Phrygier. (Wo sind die Hethiter? Im Museum.) Die phrygischen Augen aus Glas oder Perlen blicken noch heute in jedes türkische Haus, beschützen die Besitzer und deren Gäste.

Stolz auf alte Hügelgräber

Auf die alten Hügelgräber ist man hier genauso stolz wie auf die noch älteren Hethiter, dieses moderne, demokratisch funktionierende Volk, das aus unbekannten Gründen vor mehr als 3000 Jahren ausgestorben ist, berichtet die Turkologin Kerstin Tomenendal, die an der hiesigen privaten Bilkent-Universität "Geschichte der Zivilisationen" lehrt.

Diesen historischen Boden hat Kemal Atatürk für seine neue Hauptstadt gewählt. Und in dessen Zentrum wurde später sein Mausoleum gestellt. Auf einem der heiligen Phrygierhügel wohlgemerkt, nachdem man diesen sorgfältig archäologisch bearbeitet und die Fundstücke ins Ethnografische Museum verfrachtet hat. Ein riesig dimensioniertes, säkulares Heiligtum, Pilgerzentrum für türkische Familien und alte Männer, die sich vor seinem monströsen, nach Mekka gerichteten Marmorsarkophag bekreuzigen.

Fotografieren erwünscht

Fotografieren ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, damit der Ruhm des Vaters der Türken, geboren in Thessaloniki, (wie Aristoteles und die Slavenapostel Kyrill und Method) sich noch weiter verbreiten möge. Um ihn kommt man - genauso wenig wie um die Millionen Flaggen - nicht herum. Kemal prangt in jedem Büro, von den Hauswänden, steht als überlebensgroßes Denkmal auf Plätzen und liegt auch auf Schuhabstreifmatten in den Hauseingängen.

Kemal, der kleine Mann mit dem großen Bentley, hat in diesen Tagen eine posthume Niederlage erlebt: Muslimische Studentinnen dürfen nun mit dem Kopftuch an die Uni. Doch er wäre ganz beruhigt: Beim Rest des Körpers verzichten manche junge Frauen nicht auf die Betonung ihrer weiblichen Reize. Enge Jeans und hohe Stiefelabsätze ergänzen nur zu deutlich das vom Kopftuch gerahmte und so besonders betonte Gesicht. Also ganz westlich, so wie sich Kemal die moderne Türkei gewünscht hat. (Barbara Maier/Lojze Wieser/Der Standard/Printausgabe/06/05/2008)