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Jürgen Schrempp nach seinem Rücktritt als Daimler-Chef im Juli 2005. Anleger behaupten, sie seien von dieser Entscheidung zu spät verständigt worden.

Foto: Reuters/Wiegmann
In einem Beschluss zum Ausscheiden des ehemaligen Daimler-Chefs hat der deutsche Bundesgerichtshof klargestellt, dass zukünftige Ereignisse nur bei hoher Wahrscheinlichkeit des Eintritts ad hoc publiziert werden müssen. Dies ist auch für Österreich relevant.

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Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat vor kurzem einen nicht nur wegen der Prominenz der beteiligten Personen mit Spannung erwarteten Beschluss zur Frage ad hoc publizitätspflichtiger Insiderinformationen veröffentlicht: Demnach macht das Höchstgericht deutlich, dass zukünftiges Ereignis nur dann eine Ad-hoc-Pflicht auslöst, wen dessen Eintritt sehr wahrscheinlich ist.

Konkret ging es um eine Musterklage von Kapitalanlegern, die der Daimler AG vorwerfen, sie hätten über das Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp das Anlegerpublikum per Ad-hoc-Meldung zu spät informiert und wären deshalb zu Schadenersatz verpflichtet. Die Kläger behaupten, die veröffentlichungspflichtige Tatsache sei bereits während eines Gesprächs mit dem Aufsichtsratschefs im Mai 2005 entstanden, nicht aber erst zum Zeitpunkt der Aufsichtsratssitzung am 28. Juli 2005, wo die Personalentscheidung beschlossen und unmittelbar danach ad hoc veröffentlicht wurde. Als Folge der Meldung stieg der Kurs der Daimler-Aktie deutlich.

"Zukunftsbezogene Umstände"

Die Ad-hoc-Meldung sei rechtzeitig ergangen, hatte das OLG Stuttgart 2007 entschieden, denn der angebotene Rücktritt Schrempps sei von der Zustimmung des Aufsichtsrates noch abhängig gewesen. Zwar hob der BGH das Urteil aus prozessualen Gründen auf und verwies es zur neuerlichen Beweisaufnahme an das OLG zurück (BGH II ZB 9/07 vom 25.2.2008). Aber inhaltlich bestätigten die Höchstrichter die Entscheidung.

Im Beschluss heißt es zwar, dass auch zukunftsbezogene Umstände, wie Pläne, Vorhaben und Ansichten veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen sein können, wenn sich die Tatsachen, auf die sie sich beziehen, ausreichend präzis sind und ihre Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich ist. Das BGH nennt hier eine Eintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent. Aus den Entscheidungserwägungen wird aber deutlich, dass der BGH die Schwelle für diese Wahrscheinlichkeit sehr hoch setzt. Auch wenn Kenner die Zustimmung des Aufsichtsrates in solchen Fällen für eine Formalität halten, genügt offenbar dieser Vorbehalt, um keine Ad-hoc-Publizitätspflicht auszulösen.

Folgen für Österreich

Nach österreichischem Börsengesetz ist die Rechtslage mit jener in Deutschland vergleichbar: Eine Insiderinformation liegt dann vor, "wenn sie eine Reihe von bereits vorhandenen oder solchen Tatsachen und Ereignissen erfasst, bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft eintreten und darüber hinaus bestimmt genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Tatsachen oder Ereignisse auf die Kurse des betroffenen Wertpapiers zulässt".

Diese gesetzliche Bestimmung lässt Raum zur Interpretation; die Entscheidung des BGH könnte daher aufgrund der Vergleichbarkeit der Normen als Auslegungshilfe herangezogen werden. Dies ist zu begrüßen, da der BGH offenbar an die Eintrittswahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse hohe Anforderungen stellt, was insbesondere bei sogenannten "mehrstufigen Entscheidungsprozessen" von Bedeutung ist. Wichtig erscheint demnach, den Ablauf von Entscheidungsprozessen auch vor dem Erfordernis der ad-hoc Publizitätspflicht zu sehen, und deren Zusammenspiel sinnvoll zu koordinieren.

Hohes Haftungsrisiko

Das Verfahren in Deutschland zeigt jedoch auch, dass mit dem Veröffentlichungserfordernis von Insiderinformationen ein hohes Haftungsrisiko verbunden ist. Denn eine nicht rechtzeitige Veröffentlichung von Insiderinformationen unterliegt nicht nur einer verwaltungsstrafrechtlichen Sanktion, sondern könnte auch zu Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Emittenten führen. Die erhöhte Bereitschaft von Aktionären zur Geltendmachung derartiger Ansprüche hat das Verfahren rund um das Ausscheiden des ehemaligen Daimler-Chefs eindrucksvoll unter Beweis gestellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.5.2008)