Der Zweiradhändler gibt auf seine Ware derzeit noch Rabatt, mit Monatsende schließt er seinen Laden. Das große Sonnenstudio steht schon leer. "Zu vermieten"-Schilder kleben an verlassenen Geschäftslokalen im Zentrum von Oberhausen im westdeutschen Ruhrgebiet. In der alten Fußgängerzone behauptet sich dagegen das Innenstadtkino mit dem schönen Namen "Lichtburg". Normalerweise laufen dort aktuelle Spielfilme, aber alljährlich Anfang Mai wird das Gebäude wegen der Kurzfilmtage gestürmt.

In einer wirtschaftlich und infrastrukturell merklich im Umbruch befindlichen Umgebung ist es kein Wunder, dass das Festival sich auch in seinen Spezialprogrammen für Brüche, Verschiebungen, (soziale) Bewegungen interessiert: Grenzgänger und Unruhestifter wurden heuer beschworen. Verhandelt wurden in dem Special, das vor allem dokumentarische Miniaturen versammelte, Möglichkeiten eines politischen Kinos.

Mitunter reichte das gerade einmal für plakative Kalauer oder etwas zu simplen Agit-Prop. Mittendrin leuchteten aber auch stimmig montierte Programme, in denen anarchische Stummfilmturbulenzen vielsagend mit eindringlichen Beobachtungen realer Straßenkämpfe und politischer Schlüsselereignisse oder mit gewitzten studentischen Interventionen kommunizierten: Pariser Dienstmädchen proben anno 1906 den Aufstand und wissen sich stürzend, schlagend, rollend gegen die Exekutive zu wehren, Piel Jutzi filmt in Berlin den Kampfmai 1929, Ella Bergmann-Michel ebendort Die letzte Wahl im Jahre 1932 (und wird dabei verhaftet), Vertreter von Meine Akademie übermitteln 2006 Glückwünsche an den Sponsor ihrer Uni-Bibliothek.

In Parallelmission präsentierte die Reihe Wessen Geschichte? Auseinandersetzungen mit marginalisierten Lebenszusammenhängen – etwa filmische Pionierarbeiten feministischer Gegengeschichtsschreibung wie Women of The Rhondda, in dem ein britisches Filmemacherinnenkollektiv 1972 die Erinnerungen von Bergarbeiterfrauen sammelte und jene Beiträge zum Familienerhalt dokumentierte, die gemeinhin aus den Erzählungen von Arbeitskämpfen ausgeblendet werden.

Allerdings wurde in der Reihe stets die Frage nach formalen und konzeptuellen Strategien mitverhandelt: entlang von Filmen von Alexander Kluge, Ken Jacobs oder Agnès Varda. Anhand von Arbeiten wie Stephen Prinas 2000 im Auftrag des J. P. Getty Museums Los Angeles entstandenem Vinyl II , einer präzisen Vermessung von Bild- und Museumsräumen, die mit einer musikalischen Live-Performance irritierend schön korreliert. Oder in Werken der (auch für Wien zu entdeckenden) britischen Künstlerin Lis Rhodes – höchst eigenwillige Bild- und Textmontagen, in denen sich Erfahrung und Reflexion in Schichten und Schlaufen ab- und überlagert. (Isabella Reicheraus Oberhausen, DER STANDARD/Printausgabe, 07.05.2008)