Steve Albini live mit seiner Band Shellac in der Szene Wien. Der US-Musiker und Aufnahmetechniker von Bands wie Nirvana gilt als integre Ausnahmeerscheinung im Musik-Business.

Zur Person
Steve Albini (46) lebt in Chicago. In den 80ern hat er die Band Big Black gegründet, heute betreibt er hobbymäßig das Trio Shellac, hauptberuflich das Studio Electrical Audio. Berühmt wurde er als Aufnahmetechniker von Bands wie Nirvana, Pixies, Page and Plant, PJHarvey, The Stooges u.v.a.m.

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Im Rahmen eines Wien-Auftritts des US-Trios Shellac sprach Karl Fluch mit dem Musikproduzenten.


Standard: Mit Ihrer Band Shellac entziehen Sie sich den Regeln des Musikbusiness. Keine Band-Homepage, kein MySpace-Auftritt. Ist das ein bewusstes Statement?

Albini: Es ist die Entscheidung, dieses Statement nicht abzugeben. Die meisten Bands haben Interesse daran, sich zu bewerben. Sie wollen ein Publikum. Shellac ist etwas, das wir fast ausschließlich für uns selbst machen. Wenn uns jemand entdeckt und sich für uns interessiert, schmeichelt uns das, aber wir verwenden nicht sehr viel Energie darauf, entdeckt zu werden. Ein Publikum zu finden ist toll, aber wir brauchen den ganzen Promotion-Bullshit nicht.

Standard: Sie waren in den 80ern der prototypische "Angry Young Man". Wie zornig ist Steve Albini heute noch?

Albini: Ich bin versöhnlicher. Als ich jünger war, nahm ich nur eine Welt wahr, nur eine Musikszene, nur eine Kultur. Heute weiß ich, dass man bequem "underground" existieren kann. Ich bin weniger vom Mainstream beeinflusst als früher, fühle mich weniger beleidigt davon. Ich weiß gar nicht, dass es ihn gibt. Da könnte ein neuer Mel-Gibson-Film anlaufen, ein neuer Harry Potter erscheinen, ich würde es gar nicht merken. Es kümmert mich nicht mehr. Früher war ich sehr persönlich betroffen von der Popkultur, heute nicht mehr.

Standard: In den 80ern war Ihre Musik mit Big Black unterschwellig politisch, inhaltlich und formal drastisch. Ronald Reagan war schlimm, George W. Bush schlimmer, dennoch ist zeitgenössischer Pop weniger politisch.

Albini: Unter Reagan fühlte es sich so an, als würden wir uns auf eine Entscheidung zubewegen: Werden wir eine repressivere, faschistoidere Gesellschaft, oder gehen wir eher Richtung Europa, werden sozialer, offener. Deshalb gab es Agitation, um diese Richtung zu beeinflussen. Heute sind wir längst diese reaktionäre, repressive, religiös fundamentalistische Nation. Jeder Musiker, jede Band mit Hirn ist ohnehin in Opposition.

Standard: Bands wie The Kills entdecken für sich den Drum-Computer. In Ihrer ersten Band Big Black war das ein Charakteristikum.

Albini: Ein Drum-Computer kann einen sehr originären Sound erzeugen. Meistens ist er jedoch nur ein Substitut für einen richtigen Drummer oder ein besseres Metronom, also keine Bereicherung. Aber wenn jemand sensibel damit umgeht, besitzt er enorme Dynamik. In der frühen Elektronikmusik-Ära war es noch sehr ungewöhnlich, ein Maschineninstrument zu haben. Jeder musste lernen, sich damit zu arrangieren. Technisches Equipment war oft selbstgebaut und unzuverlässig. Das bedeutete aber auch Einzigartigkeit, Charme und erforderte besonderen Erfindungsreichtum. Ab den späten 80ern wurde elektronisches Equipment zusehends standardisiert, leistbarer, aber auch konventioneller. Und so klingt auch die meiste damit erzeugte Musik: konventionell, austauschbar und uninteressant.

Standard: Haben Sie als Aufnahmetechniker dieser Tage eigentlich Angst um Ihren Job?

Albini: Das Geschäft hat sich dramatisch verändert. Ich mache es zum Glück schon lange, deshalb sind meine finanziellen Verpflichtungen nicht mehr so groß. Home-Recording boomt, darunter leiden die Studios. Das ist schlecht für mich. Was mir daran gefällt: Je mehr persönliche Kontrolle ein Künstler über sein Produkt hat, desto besser. Professionelle Aufnahmestudios werden zu Raritäten, aber es bleibt Platz für Qualität. Jeder kann sich heute eine Videokamera kaufen und einen Film drehen, das macht aber nicht jeden automatisch zu David Lynch.

Standard: Als jemand, der das Musik-Business herzhaft ablehnt, haben Sie sich ausgerechnet in ihm ganz gut eingerichtet.

Albini: Ich nehme daran aber nur zu meinen Bedingungen teil. Es funktioniert immer gleich. Wenn mich eine Plattenfirma kontaktiert, sage ich ihr, die Band soll mich anrufen. Das gilt für alle. Große Namen, unbekannte Namen. Ich habe keinen Manager, keinen Anwalt, alles läuft auf gleicher Augenhöhe.

Standard: Bei Ihren staubtrockenen Arbeiten spricht man oft vom Albini-Sounds. Ist das zulässig?

Albini: Meine Philosophie ist, dass eine Band so klingen soll, wie sie sich vor ihrem Publikum präsentierten möchte. Ansonsten glaube ich nicht, dass das mit dem Sound stimmt. Dazu habe ich zu viele verschiedene Bands aufgenommen. Es gibt Parallelen bei Bands, die ein ähnliches Idiom pflegen. Oder es hängt damit zusammen, dass Bands so klingen wollen. Ich habe keine Ambitionen, jemandem etwas aufzuschwatzen. Was meine Arbeit aber durchgehend charakterisiert, ist die Abwesenheit konventioneller Aufnahmetechnik. Das bedeutet, wenn ich eine Gitarre aufnehme, hört man auch nur eine Gitarre und nicht fünf, wie es heute sonst üblich ist. Das gilt für jedes Instrument. Konventionelle Popmusik wird anders aufgenommen, schafft synthetisches Getöse und elektronische Abstraktionen, die mit dem ursprünglich erzeugten Klang und seiner Dynamik nichts mehr zu tun haben.

Standard: Grundsatzfrage: Vinyl, CD oder MP3?

Albini: Vinyl ist das permanentere Medium. Es ist gut für eine Kultur, sich selbst möglichst dauerhaft zu dokumentieren. Ich bin in der ungewöhnlichen Situation, in meinem Brotjob Musik von Masterbändern zu hören. Deshalb kann ich sagen: Was der ursprünglichsten Aufnahme am nächsten kommt, ist Musik von hochwertigem Vinyl.

Standard: Was halten Sie von den Online-Vertrieben von Bands wie Radiohead oder Nine Inch Nails?

Albini: Das ist vor allem für kleine Bands ein guter Weg. Für große wie NIN, Wilco oder Radiohead ist es schwieriger. An ihnen hängt parasitär ein Schweif von Musikindustriemenschen. Jede Entscheidung dieser Bands betrifft auch deren Schicksal. Da muss man durch.

Standard: Das Label Touch & Go, dem Sie lange treu sind, hat 2007 sein 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Dafür haben sich viele Bands reformiert, um dort aufzutreten, darunter Sie mit Big Black.

Albini: Das war unglaublich. Das einzig enttäuschende war, dass The Jesus Lizard nicht gespielt haben. Killdozer waren unfassbar, Scratch Acid waren unfassbar. Jede einzelne Band war so gut wie zu ihrer besten Zeit. Wenn eine Periode endet, tendieren die Beteiligten dazu, ihre Ära zu verklären. Ich wollte da nie mitmachen und der alte Typ sein, der von der Vergangenheit schwärmt. Während der 90er- und der Nullerjahre hatte ich aber immer das Gefühl, dass all diese ach so innovativen Bands eigentlich grottenschlecht sind. Beim Touch-&-Go-Festival dachte ich dann: Fuck!, es stimmt doch. All die Jahre hatte ich recht gehabt. Diese Bands waren fantastisch! So viel besser als alles aus den 90ern und den Nullerjahren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.5.2008)