Zum 1. Mai* wurde die Erosion von Arbeitsmoral und Leistungsorientierung, der radikale Wandel der Lebenseinstellungen weg von Erwerb und Beruf hin zu Privatleben und Freizeit, der Sinnverlust vieler Metiers und die instrumentell-materialistische Arbeitsauffassung, der demoralisierende Verlust des Glaubens an Leistung als Erfolgskriterium und an Arbeit als in sich wertvoll analysiert: Bertolt Brecht’s "Arbeit ist alles was keinen Spaß macht".

Sozialforschern zeigt sich seit Jahrzehnten eine stille Revolution im Wandel der Leitwerte. Erstens einen Wandel weg vom früheren Gegensatz von Leistung und Lebensgenuss zur Ergänzung und Verschmelzung von Leistungsethik und Hedonismus. In meiner Jugend – 1968 – bedeutete Genießen vorab Leistungsverweigerung, man war entweder "Hippie" oder "Streber", entweder glücklich eingeraucht im Schlafsack an der Südküste von Kreta oder fleißiger, lustunfähiger Ehrgeizling. Weil das Stereotyp schon damals falsch war sind auch liberale und triebfreundliche "68er Werte" in die Gegenwelt des Establishments eingesickert und haben die zuvor knöchern-hölzerne, autoritäre Wirtschaftswelt etwas aufgelockert und allmählich gewandelt.

Statt Disziplin oder Disziplinlosigkeit, Pflichterfüllung, Arbeitslast und Arbeitsleid, zum Merkmal der Unterschichten geworden, wurde in den Mittelklassen nunmehr "Lust auf Leistung und Lebensgenuß, Lust am Erfolg und Arbeitsfreude, Flow, Fun, Action, Moments of Happiness gefeiert und work-life-balance" gefordert. Wenn jedoch die Wirklichkeit schäbig hinter diesen glanzvollen Idealen und Ideologien zurückbleibt und hochfahrenden Ansprüchen nicht genügt, werden eine zynisch-instrumentelle, extrinsisch motivierte Arbeitseinstellung der unteren Schichten (reiner "cash-nexus") oder parasitäre Ansprüche auf "Staatsknete" auch im Kleinbürgertum und Mittelstand adaptiert. Zweitens gibt es einen Wandel vom Primat sogenannter Sekundärtugenden "abhängig Beschäftigter" (die allenfalls Fleiß, Pünktlichkeit, Pflichterfüllung, Ehrlichkeit und Gehorsam zeigen - oder eben nicht; aber nicht mehr, wie zunehmend nötig), zur Vorherrschaft unternehmerischer Leitbilder, wie Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Verantwortung, Risikofreude, Gestaltungskraft, Innovationsbereitschaft, usw., kurz: Arbeitnehmer als Mit-Unternehmer. Das kann man als "neo-liberal" wie auch als "emanzipatorisch" verstehen oder missverstehen, "rinks oder lechts", als Realität ist es unleugbar.

Die Leitidee dahinter: Arbeit muss Spaß machen – oder sie macht krank. Ohne Arbeitsfreude keine Motivation: Abwechslung, Herausforderung, Erfolgserlebnisse, persönlich etwas bewegen, gestalten, sich selbst etwas beweisen, was andere anerkennen und achten – doch wer hat schon die Chance auf solcherart erfüllende Arbeit?

Nach Studien von Opaschowski ist für fast zwei Drittel der Arbeiter und Angestellten Arbeit "keine Herausforderung" mehr - selbst für Leitende Angestellte zu 39%! Unzufriedenheit in der Arbeit resultiert "unten" oft aus Distress oder Langeweile, Unterforderung, weiter "oben" aus Burnout oder Sinnverlust. Dementsprechend verlieren Arbeit und Beruf an Lebensqualität und als identitätsstiftende Faktoren: während gerade einmal die Hälfte der Erwerbstätigen in Arbeit und Freizeit sinnvolle Beschäftigung findet, werden Selbstverwirklichung, Erfüllung oder gar Glückserleben immer stärker in der Freizeit als im Arbeitsleben erwartet und gesucht. (Bernd Marin/DER STANDARD Print-Ausgabe; 14.05.2008)