Der alte Treffpunkt: Billa Container

derStandard.at/Wittstock

Der neue Bahnhof: Licht am Ende des Tunnels

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Sie erinnert an das Innere einer Aludose, die neue Bahnhofshalle am Praterstern im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Die metallverschalten Wände und Deckenplatten spiegeln sich im blank geputzten schwarzen Marmorboden und umgekehrt. Billa, Felber, Trafik und Blumengeschäft auf der einen, Frisör, Drogeriemarkt und Reisebüro auf der anderen Seite der Halle. Was bis zur Neueröffnung im April dieses Jahres Wärmestube, Wohnzimmer und Treffpunkt für Obdachlose und Trinker war, ist nun – rechtzeitig zur Fußball EM – glänzendes Prestige-Objekt: "Drinnen darf man nicht mehr rauchen und trinken", erzählt einer, der "nicht jeden Tag hier ist" und der seinen Namen auch nicht in der Zeitung sehen will.

Sein Alter ist schwer zu schätzen, vier Schneidezähne fehlen, die Lippen legen sich eng um die übrigen schwarzen Stummeln. Mitte Fünfzig vielleicht. Unter dem speckigen, violetten Kapperl mit dem Vereinswappen des Fußballklubs Austria Wien hängen graue Harrsträhnen hervor. Die restlichen Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Nase ist rot: Mäandern geplatzter Adern. "Die ÖBB haben Securities, die stampern einen." Beim ersten Mal gebe es eine Verwarnung, beim zweiten Mal werde man aufgeschrieben und beim dritten Mal komme die Polizei.

Friedensstifter

Dafür, dass der neue Bahnhof weiterhin glänzt, sollen nicht nur die Wachmänner der ÖBB-Tochter Mungos sorgen, auch Sozialarbeiter der Stadt Wien kümmert sich seit einigen Wochen um Hilfsbedürftige. Das mobile Team "SAM" ('Sozial, Sicher, Aktiv, Mobil') patrouilliert bis zehn Uhr abends am Bahnhof, pendelt zwischen den verstreuten Grüppchen hin und her. Das Konzept, das schon am Franz-Josefs-Bahnhof funktioniert, soll nun auch am Praterstern für Eintracht zwischen Passanten, Geschäftsleuten, Trinkern und Obdachlosen sorgen. Das Team, vier Männer, vier Frauen und ein Teamleiter soll als Schnittstelle fungieren. "Wir versuchen Streit zu schlichten, oder besser noch, gar nicht erst entstehen zu lassen", sagt Hannes Schindler, Einrichtungsleiter vom Verein Wiener Sozialprojekte. "Die Leute sollen sich gut aufgehoben fühlen".

"Das sind die in den roten Leiberln. Die sind eh ganz okay. Fragen immer, wie es einem geht und so. Eigentlich merkt man sie kaum", der Mann mit dem Austria-Kapperl nimmt einen Schluck aus seiner Gösser-Dose. "Ich hab dich lieb", sagt sein junger Kollege und sein Lächeln entblößt ein ebenso zahnloses Gebiss, wie bei seinem älteren Freund. Soll heißen: "Gib mir eine Zigarette". Dass man die Sozialarbeiter, Soziologen und Psychologen von SAM noch "kaum merkt", weiß Schindler: "Wir müssen uns erst etablieren. Aber bis jetzt ist das Feedback positiv".

EM-Chaos

Was wird sie hier während der Fußball-EM erwarten, wenn Horden betrunkener Fußballfans auf die Obdachlosen stoßen? "Wir werden ganz normal unseren Dienst machen", sagt Schindler. "Die Wiener Linien stellen zusätzliches Sicherheitspersonal zur Verfügung".

Und was werden die beiden Männer machen, die hier oft ihre Tage über einigen Bierdosen verbringen? "Na, ich werde sicher nicht hier sein.", sagt der Ältere. Der Jüngere schiebt sein Nike-Kapperl aus der Stirn, zeigt auf seine verbogene Brille, die ständig von der Nase rutscht, weil sie keine Bügel mehr hat. "Das kommt nicht von ungefähr", sagt er und grinst. "Ich bin ein bissl rechtsradikal." Und: "Ich werde nicht kicken schauen – ich werde selber kicken", und reibt die rechte Faust in der linken Hand.

Billa zahlt

Der Praterstern war schon seit jeher Sammelpunkt für Randgruppen: zentral gelegen und vor allem dank der Lebensmittelkette Billa mit einem Nahversorger ausgestattet, der auch an Wochenenden und Feiertagen Alkohol zum Supermarktpreis bietet. Seit im Winter 2005 wegen des Umbaus des Bahnhofs sämtliche Geschäfte in ein eigens errichtetes Containerdorf beim U-Bahn Aufgang Lassallestraße übersiedelt wurden, wurden die Menschen, die sich vor dem Billa trafen, immer mehr. Unter die Trinker und Obdachlosen mischten sich Drogensüchtige, es wurde mit Substitutionsmitteln gedealt. Heute sitzen nur noch vereinzelte Grüppchen um das Bahnhofsgebäude.

Der Leiter der neueröffneten Billafiliale im Bahnhofsgebäude, Zoran Ster ist mit der Entwicklung zufrieden: "Ich hätte mir nicht gedacht, dass im neuen Bahnhof alles so gut läuft." Einige Lokalverbote, mehr nicht. Die Probleme, die es vor dem Containerdorf gegeben hat, gebe es jetzt nicht mehr. Die Firma Billa lässt sich diese Ruhe auch etwas kosten: mit 50.000 Euro beteiligten sie sich an SAM. Weitere 50.000 kommen jeweils von der ÖBB und dem Bezirk.

Der EM blickt Ster gelassen entgegen. Zwar liegt seine Filiale neben Fan-Meile und Public-Viewing an der Kaiserwiese, Sorgen wegen Randalierern macht er sich trotzdem keine: "Wir werden währen der EM vier zusätzliche Securities im Geschäft haben. Insgesamt also sechs. Das sollte genügen." (26. Mai 2008, bock, derStandard.at)