Zur Person
Alain Aoun ist Neffe des berüchtigten Bürgerkriegsgenerals Michel Aoun und führendes Mitglied in dessen Freie Patriotische Bewegung (FPM).

Die FPM bildet mit der Hisbollah und der schiitischen Amal die libanesische Opposition. Michel Aoun ist der wichtigste christliche Politiker im Libanon, sein Parteiblock die drittstärkste Kraft hinter Schiiten und Sunniten im Parlament.

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Standard: Der Libanon war in den vergangenen Tagen Schauplatz heftiger Kämpfe. Fürchten Sie einen neuen Bürgerkrieg? Aoun: Wir können derzeit nicht von einem Bürgerkrieg sprechen. Und zwar deswegen, weil nur eine Partei über ausreichende militärische Fähigkeiten verfügt: die Hisbollah. Das Kräfteverhältnis zwischen der Hisbollah und allen anderen Fraktionen ist vollkommen unausgewogen. Niemand kann der Hisbollah im offenen Kampf zusetzen. Die Gefahr, die aber weiterhin besteht ist, dass sich die Sicherheitslage nach irakischem Muster verschärft, also es zu Morden, Massakern, Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten kommt. Standard: Die Hisbollah hatte bei den Kämpfen die Kontrolle über weite Teile Beiruts übernommen. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen? Aoun: Die Kämpfe sind ausgebrochen, weil die Regierung die Spielregeln der politischen Konfrontation ändern wollte._Sie haben plötzlich angefangen, der Hisbollah die Waffen und ihr Kommunikationsnetz streitig zu machen. Aber wir dürfen uns jetzt nicht darum kümmern, wessen Vorgehen richtig oder falsch war. Für die Verschlechterung der politischen Situation ist jeder mitverantwortlich. Wichtig ist jetzt, dass wir einen politischen Kompromiss finden. Standard: Aber wie kann ein Kompromiss aussehen: Die Opposition, der die Hisbollah und Ihre Freie Patriotische Union angehören, verlangt ein Drittel der Regierungssitze. Die Regierung lehnt das ab.

Aoun: Wir streben in der Regierung eine faire Vertretung der Opposition an. Wir wollen daher ein Drittel der Sitze plus einen, was uns ein Vetorecht geben würde. Und wir wollen ein faires Wahlgesetz. Der beste Weg, um aus der jetzigen Krise herauszufinden, ist, eine Übergangsperiode einzuleiten. In dieser Zeit könnte die Armee gewisse Regierungsfunktionen übernehmen. Möglich wäre auch, ein Kabinett mit unabhängigen Mitgliedern zu bilden. Diese Regierung sollte das Land zu Neuwahlen führen. Danach müssen wir ein neues System generieren: ein neues Parlament schaffen, einen Präsidenten wählen und eine Regierung ernennen.

Standard: Sie sprechen von einer militärischen Übergangsregierung, das klingt bedrohlich.

Aoun: Das wäre für eine Übergangszeit, und ihr Mandat würde nur die Organisation einer Wahl umfassen, sie dürften keine weiteren politischen Entscheidungen treffen.

Standard: Sie sprechen davon, das politische System neu zu gestalten. Verlangen Sie eine Grundsatzänderung des Taif-Abkommens, mit dem immerhin der libanesische Bürgerkrieg beendet wurde und das heute die Machtverteilung im Land regelt?

Aoun: Das verlangt derzeit niemand. Wir können das nicht in so einer angespannten Lage diskutieren, darüber muss aber gesprochen werden, wenn die Situation sich beruhigt hat.

Standard: Welchen Einfluss haben die USA, die Iraner, die Syrer? Wie könnten sie die angespannte Lage beruhigen? Aoun: Die USA sind ein zentraler Spieler. Auf regionaler Ebene haben Saudi-Arabien und der Iran Einfluss. Das Problem ist, dass _diese Staaten sich untereinander nicht darüber einig sind, wie der Libanon künftig aussehen soll. Diese Einigung bräuchte es aber. Standard: Ihr Onkel und Parteichef Michel Aoun hat einst im Bürgerkrieg die Syrer bekämpft. Heute arbeitet er mit der von Damaskus unterstützten Hisbollah zusammen. Aoun: Wir sehen die Hisbollah nicht primär als Verbündeten Syriens. Ob es einem gefällt oder nicht: Die Hisbollah ist einer der wichtigsten Parteien, sie vertritt die Schiiten im Libanon, an ihr kommt niemand vorbei. Das ist eine Tatsache. Wir müssen mit ihr wie mit einem Partner umgehen – wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, müssen wir Kompromisse finden. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2008)