Trotz der milliardenhohen Schäden, die jedes Jahr in der EU durch Verstöße gegen das Kartellrecht entstehen, sind die im Gemeinschaftsrecht ausdrücklich vorgesehenen Schadenersatzklagen von Opfern bisher eher die Ausnahme. Daran hat auch die steigende öffentliche Aufmerksamkeit durch spektakuläre Fälle wie das Lombard-Kartell österreichischer Banken, das Kartell führender Aufzughersteller oder die Belieferung des Flughafens Wien mit Flugzeugtreibstoff durch nur einen Lieferanten kaum etwas geändert.
Als Hauptgrund für die Zurückhaltung bei der Geltendmachung solcher Schadenersatzansprüche nennt die EU-Kommission das Fehlen geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten. Wettbewerbsfälle unterscheiden sich maßgeblich von herkömmlichen Schadenersatzfällen. So sind die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Fakten und der tatsächlich entstandenen Schäden äußerst schwierig und die wettbewerbsrechtliche Würdigung der einzelnen Sachverhalte komplex.
Ob in einem konkreten Fall tatsächlich eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung vorlag, bedarf zumeist umfassender Marktanalysen und einer zusätzlichen Beurteilung durch Industrieökonomen. Die Kosten für die Auf arbeitung zur Geltendmachung von Folgeansprüchen übersteigen schnell die 100.000-Euro-Grenze. Zwischen dem Prozessrisiko einzelner Kläger und den von diesen möglicherweise durchsetzbaren Schadenersatzansprüchen besteht meist ein krasses Missverhältnis.
Gebündelte Forderungen
Anfang April hat die EU-Kommission ein Weißbuch mit Vorschlägen für die Einführung von einheitlichen Rechtsschutzinstrumenten in den Mitgliedstaaten zur erleichterten Durchsetzung von Folgeansprüchen nach Wettbewerbsverstößen vorgelegt. Eine der Hauptempfehlungen ist die Einführung von Gruppen- und Sammelklagen, mit denen eine Bündelung individueller Schadenersatzforderungen mehrerer Opfer ermöglicht werden soll. Damit soll verhindert werden, dass bei relativ geringwertigen Streuschäden einzelne Verbraucher oder Unternehmen von den mit einer Individualklage verbundenen Kosten, Risiken und Belastungen so abgeschreckt werden, dass sie von einer Geltendmachung ihrer Schadenersatzansprüche überhaupt absehen.
Das Justizministerium hat bereits im Vorjahr einen Entwurf zur Einführung kollektiver Rechtsschutzverfahren in die österreichische Zivilprozessordnung vorgelegt. Insbesondere bei der Wirtschaft ist dieses Vorhaben auf großen Widerstand gestoßen. Im Vordergrund der Diskussion stand die Befürchtung, kollektive Rechtsschutzmaßnahmen könnten missbraucht werden, um Unternehmen ungerechtfertigt unter Vergleichsdruck zu setzen.
Mit dem nunmehr vorliegenden Weißbuch scheint die Einführung von Gruppen- und Sammelklagen zumindest für Folgeansprüche aus Kartellrechtsverletzungen auch in Österreich unaufhaltsam. Entgegen der allgemein verbreiteten Auffassung werden davon vor allem auch österreichische Unternehmen profitieren. Häufig sind nämlich nicht Verbraucher, sondern Unternehmen Opfer von Wettbewerbsverstößen. In einer von KMUs dominierten Volkswirtschaft wie Österreich treffen die bestehenden Schwierigkeiten bei der Geltendmachung von Folgeansprüchen bei Kartellverstößen vor allem Unternehmen.