Ein Schritt zur Prävention: Das Wattestäbchen kommt per Post, mit der Speichelprobe wird es zurückgeschickt.

Bildbearbeitung: DER STANDARD/L. Friesenbichler
Die Tests sollen einem sagen, welche Krankheiten in Zukunft drohen. Aber sie sind umstritten, denn die medizinische Aussagekraft sei gering, kritisieren Wissenschafter. Und Arzt und Patient wüssten mit den Ergebnissen wenig anzufangen.

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Die Sätze auf der Webseite der Firma 23andMe flimmern in großen Lettern über den Bildschirm: Vor 200.000 Jahren spaziert der Homo sapiens über die Erde. Vor 175.000 Jahren wird der Vorfahre des heutigen Menschen in Afrika geboren. 1953 wird die Doppelhelixstruktur der DNA entdeckt. 2007 tritt 23andMe auf den Plan: "Entschlüsseln Sie das Geheimnis Ihrer DNA. Heute", ist da zu lesen.

Es ist stets Werbung nach demselben Muster: Wer das Angebot von 23andMe, deCODEme oder Genetic Health in Anspruch nimmt, kauft nicht irgendein Produkt, wird suggeriert. Er kann an einem Meilenstein menschlicher Entwicklung teilhaben. Für nicht einmal 1000 US-Dollar.

Die genannten Unternehmen zählen zu weltweit rund 30 Firmen, die via Internet eine persönliche Humangenomanalyse anbieten. Wer sich via Internet anmeldet, bekommt ein Kit mit Wattestäbchen zugeschickt. Darauf werden Zellen aus der Mundschleimhaut aufgetragen, und das Ganze wird zurückgeschickt. Die Tests sollen Aufschluss darüber geben, welche Erkrankungen einen gefährden könnten. Mit speziellen Markern wird im Labor nach Abweichungen gesucht, die auf ein erhöhtes Risiko hinweisen: Wie viel höher ist die Wahrscheinlichkeit, an Prostata- oder Brustkrebs zu erkranken? Wie hoch liegt mein Risiko, einen Herzanfall zu bekommen, zuckerkrank zu werden?

"Die genetische Risikofeststellung wird die Medizin in den kommenden drei bis fünf Jahren komplett revolutionieren", sagt Kári Stefánsson. Der Chef der isländischen deCODEme war vergangene Woche zu Gast in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Doch die angekündigte Revolution ist umstritten. Datenschützer, warnen vor einem Missbrauch der Informationen. Erst Anfang Mai reagierte der US-Kongress und verabschiedete ein Gesetz zum Verbot von Diskriminierung aufgrund von DNA-Analysen. Kritisiert wird aber auch die Aussagekraft der Tests. Und was fangen Ärzte und die künftigen Patienten mit den Informationen überhaupt an?

"Ähnelt der Wahrsagerei"

"Derzeit nicht viel", konstatiert Pascal Borry vom Zentrum für Bioethik und Recht an der belgischen Universität Leuven. "Das Ganze ähnelt der Wahrsagerei", sagt er. Denn unter Wissenschaftern wird die Aussagekraft der Tests in Zweifel gezogen. Für die meisten komplexen Erkrankungen ist eine Vielzahl von Genmutationen und Umweltfaktoren verantwortlich sein, daran stimmen die Genanalysten und ihre Kritiker noch überein.

Allein 23andMe untersucht bereits 580.000 sogenannte Single Nucleotide Polymorphismen (SNPs), das sind minimale Abweichungen von einzelnen Basenpaaren in einem DNA-Strang. Weitgehend unklar ist aber, welche Veränderungen welche Krankheiten tatsächlich auslösen und wie groß der Einfluss von Umweltfaktoren ist, also von dem, was wir essen, ob wir rauchen und uns genug bewegen. "Darauf hat die Wissenschaft bisher kaum Antworten", sagt Borry. Die Aussagekraft der Testergebnisse sei für den Arzt also beschränkt. Dem widerspricht Stefánsson nicht. Aber je mehr Menschen sich testen lassen, umso akkurater werden die Ergebnisse, sagt er.

Doch Kritik wird nicht nur an der wissenschaftlichen Qualität der Untersuchungen und ihrem Nutzen für den Arzt geübt, sondern auch an der Art und Weise, wie sie durchgeführt werden.

Denn ein Mediziner wird bei vielen Humangenomanalysen gar nicht zwischengeschaltet. "Die meisten Menschen gehen zum Arzt, um ein Symptom behandeln zu lassen", heißt es bei deCODEme. "Mit unserer Arbeit zeigen wir den Menschen: Wartet nicht, bis es etwas zu behandeln gibt."

Doch so einfach ist das nicht. Im besten Fall erfährt der Kunde durch die Genanalyse, welche Erkrankungen drohen. "Aber wir können mit diesen Informationen wenig anfangen", sagt Borry.

Manche Krankheiten sind nicht therapierbar. Oft kommen Ratschläge mit den Ergebnissen der Tests: weniger rauchen, mehr Bewegung, Stressreduzierung. Aber das gibt's ohnehin bei jedem Arztbesuch.

Manche Firmen bieten mehr an als Lifestyle-Tipps. Die österreichische Genosense Diagnostics, die Risikoanalysen nur nach Anforderung von ärztlichem Fachpersonal durchführt, schickt an den Arzt auch Therapievorschläge mit Hormonen und anderen Präparaten mit. Aber wenn schon strittig ist, welche Faktoren zur Erkrankung führen, wie zielsicher ist dann die Therapie? "Wir sind noch nicht so weit, aus den Testergebnissen klinische Nutzen zu ziehen", sagt der Bioethiker Borry.

"Wissen ist Macht", heißt es am Ende des Werbefilms von deCODEme. Daher erstellen die Genom-Analysten nicht nur Risikoprofile, sondern auch Analysen der eigenen Abstammung an. Aber den Genetikern sind die Grenzen ihrer Arbeit bewusst, sagt Stefánsson. Dass eines Tages deCODEme auch Aussagen über die Intelligenz eines Menschen treffen wird, hält er für ausgeschlossen. Einerseits, weil es unmöglich sei. Andererseits aber, weil es dafür eine viel einfachere Methode gebe: miteinander reden. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2008)