Ein feierliches Gedenkjahr - oder sagen wir vielleicht besser "Nachdenkjahr" - hätte es es auch im Nahen Osten werden sollen. Von nachdenklicher oder gar feierlicher Stimmung ist aber selbst in Israel wenig zu spüren.

Natürlich kann das offizielle Israel schon allein angesichts der Tatsache, dass das zionistische Projekt überlebte, einen Anlass zum Feiern sehen. Bloß: Das heutige Israel entspricht in keiner seiner Konstellationen den Träumen seiner ideologischen Gründungsväter. Auch wenn kolonialistische Gedanken in den Schriften von Theodor Herzl kaum zu verbergen waren, hat er immer auf ein im Endeffekt friedliches Zusammenleben gesetzt. Ein Israel, das sich nur mit F16-Militärjets gegen Gaza, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, zu behaupten weiß, gehörte gewiss nicht zu seinen Träumen. "Was habt Ihr aus meinem Projekt gemacht?", würde Herzl heute wohl aus seinem Grab rufen. Und mit ihm andere zionistische Ideologen. Der real existierende Zionismus hat sich zu einer aggressiven Kolonialisierungsform entwickelt. Aus einer vermeintlich integrativen Idee ist ein Staat entstanden, der seit 60 Jahren ein Fünftel seiner Bevölkerung (Nichtjuden) in institutionalisierter Form diskriminiert. Ein Staat, der seit über 40 Jahren Gebiete völkerrechtswidrig besetzt, ohne sich um die Verpflichtungen einer Besatzungsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung zu kümmern. Ein Staat, auf den unter diesen Umständen die Bezeichnung "einzige Demokratie im Nahen Osten" nicht zutrifft.

Andererseits: Hätten die Araber und Palästinenser in diesem "Nachdenkjahr" einen Grund zum Feiern? - Natürlich können die Palästinenser und speziell die PLO für sich die Internationalisierung des Themas beanspruchen. Bis Mitte der 60er (PLO-Gründung 1964) hatte es Israel ja kategorisch abgelehnt, sich überhaupt mit Palästina zu befassen. Symptomatisch dafür: Golda Meirs legendäre Antwort auf die Fage "Was sagen Sie zum Palästinenserproblem?" - Sie blickte sich um und sagte: "Ich sehe hier keine Palästinenser. Sie etwa?" Heute würde ein israelischer Politiker sich mit so einem Verhalten der Lächerlichkeit preisgeben. Jenseits dieses Erfolgs aber ist die Bilanz deprimierend.

Die palästinensischen Organisationen scheinen sich gegenseitig zu lähmen - vor allem Fatah und Hamas, die sich in beschämender Weise gegenseitig zu vernichten versuchen, wissend, dass sie damit auch die palästinensische Sache vernichten würden. Die arabischen Regierungen haben hier am allerwenigsten zu lachen. Die Lage in Palästina wurde vor allem dazu missbraucht, militärischen Regimes Legitimität zu verleihen. Das Bruttoinlandsprodukt wurde großteils zum Selbstbedienungslager für skrupellose und korrupte Geheimdienstapparate, die anscheinend glauben, unter dem Titel "Verteidigung des Landes vom zionistischen Feind" sich alles erlauben können. Ein Nachdenkjahr täte allen Beteiligten gut. Nur leider ist dieses Jahr noch nicht in Sicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.5.2008)