Franzobel: Wir hatten auch diesmal viele Chancen, haben aber nicht so oft getroffen. Damals, in Wien, war fast jede Chance ein Tor. Die Schweizer hatten kaum Möglichkeiten, unsere fast 200-jährige Viererkette in der Abwehr ist gut gestanden. Wir waren robuster. Aber die meisten Meter hat unser Trainer Willi Kaipel in der Coaching-Zone gemacht.
Standard: Zufrieden mit Ihrer persönlichen Leistung?
Franzobel: Ich bin nach einer Knieverletzung rekonvaleszent, habe mich überreden lassen, den Platzsprecher zu machen. Das war ganz lustig, nur am Ende gab's ein paar Buhrufe. Ich hatte gemeint, dass sich die Schweiz für die Literaten-EM im Mai 2008 in Wien qualifiziert hat, weil da nur Teams mitspielen dürfen, die vorher schon gegen Österreich verloren haben. Das ist nicht so gut angekommen.
Standard: Welchen Sinn hat Literaten-Fußball, hat die Literaten-EM? Und wie ernst geht es zur Sache?
Franzobel: In dieser Zusammensetzung bereiten wir uns seit einem Jahr gezielt auf die EM vor, wir trainieren ein- bis zweimal die Woche. Es ist schon ein richtiges Mannschaftsgefühl entstanden. Man will auch gewinnen, wenn man auf dem Platz steht, und man ist richtig aufgeregt, man will sich auch vor 300 Zusehern nicht blamieren. Aber wichtig ist vor allem, dass sich niemand verletzt. Wichtig ist das Gemeinschaftsgefühl, das hat man im Literaturbetrieb nicht, da ist man eher ein Einzelgänger. Wichtig sind die Lesungen, die wir vor und nach den Spielen veranstalten, und die Kontakte, die wir knüpfen. Man kommt einander näher, es gibt eine kulturelle Verständigung, das ist der eigentliche Sinn und Zweck.
Standard: Wie sieht der Literaten-EM-Modus aus?
Franzobel: Acht Mannschaften spielen wahrscheinlich in zwei Vierergruppen um die vier Plätze im Semifinale. Jedes Team darf 16 Spieler nominieren, zwei davon können aus literarisch verwandten Berufen kommen, also etwa Buchhändler oder Bibliothekar sein. Aber die anderen 14 sollten jeweils schon mindestens ein Buch herausgegeben haben. Und der Altersschnitt sollte über 40 liegen. Frauen einzubinden wäre auch ein Ziel, das hat aber bis jetzt weder in der Schweiz noch bei uns geklappt.
Standard: Ihre eigene ballesterische Vergangenheit sieht wie aus? Haben Sie jemals vereinsmäßig gekickt?
Franzobel: Ich hab ein einziges Mal beim SK Lenzing vorbeigeschaut, und ich hab Schülerliga gespielt. Aber ich hatte immer eine Vereinsphobie, wollte keinen Spielerpass, hab mich gegen Traineranweisungen gewehrt. Mit anderen Literaten spiele ich seit fast 17 Jahren, ursprünglich meistens auf der Jesuitenwiese im Prater. Vor einem Jahr hat dann alles System bekommen.
Standard: Ihr Name "Franzobel", hört man immer wieder, hat auch mit Fußball zu tun.
Franzobel: Ich habe mir seinerzeit mehrere Geschichten dazu ausgedacht. Jene mit der EM 1984, bei der Frankreich 2:0 gegen Belgien (FRA2:0BEL) geführt hat, ist eine davon, sie wurde sogar von Wikipedia übernommen. Eigentlich ist es schön, wenn man solche Lügen verbreiten kann. Fußball hat ja viel damit zu tun. Wenn sich zum Beispiel alte Männer über frühere Spiele unterhalten, dann wird vielleicht nicht gelogen, aber dann gibt es schon mehr als eine Wahrheit, dann gibt es viele Wahrheiten.
Standard: Was erwarten Sie sich von der EM 2008, nicht von der Literaten-, sondern von der Fußballer-EM?
Franzobel: Schwer zu sagen. Der Österreicher, vor allem der Wiener, tendiert nicht unbedingt dazu, sich einem Massengefühl hinzugeben. Andererseits wird es einen Medienhype, wird es Fanmassen geben. Das Stadtbild wird sehr bunt sein. Kann sein, dass das eine gute, nette Interrail-Stimmung ergibt, kann aber auch sein, dass Ballermann dabei herauskommt.
Standard: Die deutsche WM wäre ohne deutschen Erfolg halb so wunderbar gewesen.
Franzobel: Eben, und dieser Erfolg war ja eigentlich auch unerwartet. So gesehen gibt es diese Chance auch für Österreichs Team. Fußball hat immer schon diese Faszination, dass das eine Tor ein Wahnsinnsgewicht haben kann. Und dass auch sehr viel Glück im Spiel sein kann, dass nichts vorhersehbar ist. Das Schicksalhafte offenbart sich. Auch die Österreicher haben die Chance, ins Halbfinale zu kommen - wenn sie einen Lauf kriegen.
Standard: Fußball hat sich aber auch stark verändert.
Franzobel: Für mich als Kind hatte Fußball etwas Proletarisches, fast Verbotenes, ich durfte ein paar Spielszenen in der "ZiB" sehen, das war's. Heute gibt es Vermarktung ohne Ende, das hat schon etwas Abgehobenes. Und was sich in der österreichischen Bundesliga abspielt, ist teils unterirdisch. So gesehen war diese Ivanschitz-Geschichte im Hanappi-Stadion sehr interessant für mich. Natürlich war es unklug und unangenehm, was die Rapid-Fans da getan haben. Aber es war auch ein Protest dagegen, dass die Identifikation verloren geht. Russische Oligarchen kaufen Vereine, bei uns gibt es Stronach und Mateschitz. Fußball wird benützt, das spürt man.
Standard: Das ließe sich nun aber auch über Literaten behaupten, dass sie auf dem Trittbrett des EM-Zugs fahren.