Massimo Furlan, der persönlich die Choreografien von Jérome Bel schätzt, und die Last des Gedächtnisses: Wie markiert man die Laufwege eines Hütteldorfer Torjägers?

Zur Person
Massimo Furlan (42), als Kind italienischer Eltern aus Lausanne gebürtig, ist bildender Künstler seit 1987. Er beschäftigt sich mit dem Phänomen des Gedächtnisses, arbeitet mit diversen Tanz- und Theatergruppen zusammen und präsentiert seit 2003 unter dem Label "Numero 23 Prod" Performancearbeiten wie "International Airport".

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Helmut Ploebst erläutert er im Vorfeld der Premiere (Freitag, 16.5., 20:30) die Wirkungsweisen eines sogenannten "Mythos".

Wien – Obwohl er meint, dass der Fußball zum Big Business verkommen ist und die Spieler nur noch Geldmaschinen sind, hat sich der Italoschweizer Künstler Massimo Furlan seine Leidenschaft für die Dramen in den Stadien der Welt bewahrt.

Bei den Wiener Festwochen im Hanappi-Stadion spielt er – allein und ohne Wuchtel, aber mit Orchester – ein legendäres Match vom 21. Juni 1978, "Das Wunder von Cordoba", nach, in dem Österreich gegen Deutschland 3:2 gewann. Furlan tritt bei 90 Minuten Spielzeit in der Rolle von Hans Krankl auf, Edi Finger jun. unterstützt ihn als Kommentator.

Standard: Wo sind Sie zum Fußballnarren geworden?

Furlan: Als Kind allein in meinem Zimmer! Mein Onkel hatte mir ein kleines Radio geschenkt. Damit habe ich italienische Sender – ich bin Italiener, aber in der Schweiz geboren – empfangen und Livekommentare von Matches gehört. In meiner Fantasie war ich ein echt berühmter Held und habe mir vorgestellt, ich spiele mit Juventus oder Inter. Ein Sessel war der Tormann, der Tisch das Tor. Manchmal wurde der Empfang unterbrochen, und dann habe ich meine eigenen Ballaktionen kommentiert: "Und Massimo Furlan – Tooor!" Ich habe großartige Goals geschossen.

Standard: Es war wichtig, dass es Radio war?

Furlan: In den 70ern war Fußball eine Angelegenheit des Radios. Die Kommentatoren waren toll, ihr Stil, wie sie Spannung vermittelten. Ich wusste nicht, ob das, was gerade im Radio gesagt wurde, wirklich passierte oder schon passiert war.

Standard: Es ging um den Reiz der Zeitverzögerung?

Furlan: Die Rolle des Reporters ist die eines Geschichtenerzählers. Für mich als Künstler ist Edi Fingers Kommentar enorm wichtig. In der Arbeit, die ich heute im Hanappi-Stadion zeige, werden die Zuschauer Radios mit dem Originalkommentar hören. Ich bin allein auf dem Rasen und spiele das Spiel von Hans Krankl.

Standard: Gibt es eine Spielpause?

Furlan: Ja klar! Es gibt auch ein Live-Orchester, das die Hymne spielt. Die ganze Sache hat mit dem kollektiven Gedächtnis zu tun, weil sich jeder hier an Cordoba 1978 erinnert, mit den persönlichen Erinnerungen all jener, die das Spiel vor 30 Jahren selbst erlebt haben.

Standard: Kicken Sie nicht auch für sich selbst?

Furlan: Ich war nie in einer offiziellen Mannschaft. Als Jugendlicher war ich gut, alle meine Freunde haben in der Stadtmannschaft gekickt, aber ich wollte lieber allein spielen, weil das für mich spektakulärer war. Mit 33 habe ich einmal versucht, in einem Team zu spielen. Ich habe ein Tor geschossen und mir dann den Fuß gebrochen.

Standard: Gehen Sie gern ins Stadion auf ein Match?

Furlan: Manchmal ... da bin ich Italiener. Ich sage, okay, Fußball ist heute Entertainment und dreht sich nur um Business, und das mag ich gar nicht. Die Spieler sind Geldmaschinen und keine Helden mehr. Aber wenn Italien spielt, finde ich mich kniend und jubelnd vor dem Fernsehgerät wieder.

Standard: Ihr Spiel in Wien ist nicht Ihr erstes. Wo waren Sie schon auf dem Rasen?

Furlan: Ich habe es in der Schweiz zum ersten Mal gemacht, in Lausanne, und dann in Italien – unter anderem Mailand und Bologna –, im großen Stadion von Paris, in Marseille und in Warschau.

Standard: Wie arbeiten Sie an einem solchen Fußball-Reenactment?

Furlan: Ich schaue mir das Video zwei- oder dreihundertmal an. Das ist schrecklich, aber ich sehe genau, was Krankl gemacht hat. Dann stelle ich meinen eigenen, sehr technischen Kommentar zusammen, den ich während der Performance im Stadion über einen Empfänger im Ohr höre. So kann ich mir vorstellen, was ich zu tun habe. Es ist, als ob Krankl eine Choreografie geschrieben hätte. In einem der französischen Projekte war ich Michel Platini, Frankreich gegen Deutschland 1982. Ein großes Spiel, mit Nachspiel und Penalties – zwei Stunden laufen! Wie Sylvester Stallone in Rocky I: allein und immer auf Trab.

Standard: Auf einen Ball verzichten Sie? Furland: Ja, ich renne herum, falle, schreie manchmal ...

Standard: Das ist dann wie ein Tanz?

Furlan: Absolut. Krankl ist der Choreograf, und ich bin der Tänzer. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.5.2008)