Meran – Sollte Monika Rinck mit den quittenschweren Bildgirlanden ihres vielstimmig sprunghaften, also im Wortsinn exaltierten Zyklus spröder Liebesgedichte versucht haben, es dem vorletzten Preisträger Michael Donhauser (Die Wörtlichkeit der Quitte) gleichzutun, so hat sie sich geschnitten.

Naturbezug wird von der Meraner Jury um die Lyrikerin Ulla Hahn geschätzt, doch wer natürlich gewachsene Sinnkohärenzen allzu respektlos auseinandernimmt, bekommt dafür die Quittung: Ohne einschlägige Frömmigkeit gibt's nur Lob und keinen ersten Preis. Bleibt das Innere des Gedichts quittenartig unzugänglich, dann kann man das, wie Hans Jürgen Balmes (S. Fischer), loben und, wie Ilma Rakusa, ein "rhizomatisches Verstehen" propagieren, letztlich schlägt Volker Hages "Ratlosigkeit" angesichts der "Textmaschine" durch – Monika Rinck erhielt den zweiten, den "Alfred-Gruber-Preis": "die meisten gäste / haben sich entschieden für: normalität".

So ging der mit 8000 Euro dotierte Lyrikpreis Meran heuer an Martina Hefter aus Leipzig, die 2005 für ihren Roman Zurück auf Los akklamiert worden war: eine würdige Preisträgerin, deren zwiespältige Berichte von einem "land / wo tankstellen über wälder wachten" die Balance zwischen Empathie und Ironie zu halten wissen, statt der Quitten die Eicheln ausweiden und sich "der stadt lieber vom zug aus nähern": "das kleine hüpfen des herzens / wie das kleine hüpfen des hasen jagt / dahin über die krümmung des hügels."

Zeigefinger für Marienkäfer

Der Zeigefinger wird hier nur erhoben, um den Marienkäfer hochzuhalten. "Einfach schön" fand das Ulla Hahn und wollte doch der Autorin gerade noch das Wort "schön" rausstreichen. Man freute sich, dass hier eine das Gedicht vom Kopf auf die Füße zu stellen scheint, "wo das gefühl für den boden wohnt", überhaupt vermisste man neben dem Bodenständigen das Rühmen in der deutschen Lyrik: "ein bißchen mehr Rilke am Hut wäre gut" (Balmes).

Dennoch entzückte gerade Hefters leicht dahinhoppelndes Gedicht Hasensagen, welches uns lehrt, dass auch Kaninchen Hasenherzen haben.

Ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekam die Jury angesichts der subtilen, ja durchtriebenen Wörterbuch-Gedichte von Uljana Wolf, die aus "falschen Freunden", aus englisch-deutschem Gleichklang ("gift") oder Gleichbild ("island"), maximalen poetischen Gewinn zog. Groß war die Euphorie, Ulla Hahn sprach gar von einem "Meistersingerbeitrag". Es wurde dann doch nur der dritte Preis.

Während die Gegend von Meran sich zusehends zu einem bestens gepflegten Freilichtmuseum entwickelt, gibt die deutschsprachige Poesie auf der Bühne des Kurhauses also ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Den Raum, den man hier seit 1993 dem öffentlichen Gespräch über Gedichte zugesteht, hat das Preisgericht genützt. Es bemühte sich redlich, der Vielfalt der neun (aus 512 anonymen Einsendungen ermittelten) Finalisten gerecht zu werden, es analysierte ebenso gescheit wie genau.

Bisweilen hätte man sich aber doch gewünscht, Jurorinnen und Juroren würden die kurstädtische Courtoisie vergessen und ihr kritisches Besteck etwas beherzter einsetzen. Einem kollektiven Blackout entsprang so der spontan gestiftete "Preis der Jury" (€ 1000) für Nikola Richter: Dass just der stets gütige Germanist Wolfgang Wiesmüller hier die schärfsten Worte fand ("geschwätzig"), hätte zu denken geben sollen.

Die Mehrzahl indes war wild entschlossen, Tiefsinn zu entdecken am untauglichen Objekt. So zollte die Jury dem traum der schlümpfe vom Leben auf dem Lande selbstlos, nämlich aus eigener Tasche, Tribut. Anstatt an den Traum von Uljana Wolfs falschen Wort-Verwandten zu denken: "einmal / aus der fremde heimkehren / und vor den eltern stehen, die / keine schlechten sind, nur nie / die echten."

Bei der Preisverleihung wurde dann Robert Huez ("Bücherwürmer Lana") offiziell zur noch nicht offiziellen Übernahme des Literaturhauses Wien gratuliert. Weil man sich in der Provinz freut, wenn man die Großstadt bereichern kann. (Daniela Strigl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.5.2008)