Das Motto "Landing on Planet Life Ball" gilt auch für Sponsoren. Wie das geht, zeigte Keszler (mit Brille) am Freitag der AUA:

Foto: STANDARD/Fischer
Vor 16 Jahres war der Life Ball eine wilde, kleine Party der Schwulenszene. Bis heute gilt Europas größte HIV-Charity als "schwul". Mit diesem Klischee machen sogar konservative Unternehmen eine gute Figur.

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Über manche Thesen fährt die Eisenbahn drüber. Deshalb ist und bleibt der Life Ball eine „schwule“ Veranstaltung. Obwohl Günther Moser weiß, dass „weit mehr als die Hälfte der Besucher heterosexuell sind“. Aber darum, erklärt der Chef der auf Marketing in der Schwulenszene spezialisierten Agentur Pink Marketing, gehe es in Wirklichkeit nicht. Oder erst in zweiter Linie.

Denn obwohl viele Studien belegen, dass Homosexuelle eine wundervolle Zielgruppe für fast jedes Konsumprodukt sind, wären die – geschätzten – 400.000 gleichgeschlechtlich liebenden Österreicher allein kein Grund, dass sich große Sponsoren darum prügeln, auch bei Gery Keszlers mittlerweile 16. HIV-Charity-Party vor dem und im Wiener Rathaus dabei zu sein. Warum sie es dann tun? Weil „schwul“ – so man es vom Streit um rechtliche Gleichstellung entkoppelt – in einer hedonistischen Fun- und Freizeitgesellschaft ein Asset ist. Selbst wenn Klischees bedient werden: „Schwule gelten als kreativ und spaßorientiert – und machen angeblich bessere Partys“, referiert Moser. Der Trendforscher Bernhard Heinzlmaier fügt hinzu: „Es gilt als schick, sich in einem schwulen Umfeld zu bewegen. Damit demonstriert man Aufgeklärtheit und Modernität.“

Der schwule Schein ums Hetero-Volk ist daher auch für Mainstreamunternehmen interessant. Erst recht, wenn sich die Imagefrischzellenkur als „Charity“ präsentieren lässt. Deshalb staunen selbst Life-Ball-Mitarbeiter wie Stefanie Metzger, wie eifrig sonst kreuzbiedere Unternehmen mitmachen: „Beim Opernball bezahlt man eine Dienstleistung, hier arbeite ich ausschließlich mit Sponsoren. Aber alle spielen mit.“ Früher koordinierte Metzger beim Edelcaterer Gerstner die Opernball-Versorgung. Seit heuer ist sie eine von neun hauptberuflichen Life-Ball-Angestellten. Ihr Job: die Koordination der knapp 1000 Gastro-Partner und -Mitarbeiter. Doch auch sonst will die „straighte“ Wirtschaft beim Life Ball landen: Fluglinien, Autohersteller, Hotelketten, Cateringunternehmen oder Getränkefirmen etwa. Und natürlich die Stadt Wien.

Männer und Bussis

Den pseudoschwulen Hetero(mann) hat Gery Keszler aber nicht erfunden. „Metrosexuell“ lautete der Versuch der Kosmetikindustrie, die Zielgruppe zu etikettieren. Doch das griff zu kurz: Man sprach nur Männer an – und blieb an der ästhetisierten Oberfläche. Gay-Marketer Moser: „Die sexuelle Orientierung an sich ist gar nicht mehr Thema: Oft steht ‚schwul‘ drauf – aber es ist Hetero-Alltag.“ Etwa wenn Männer einander mit Bussi begrüßen: Das gab es früher vor allem unter kommunistischen Führern. Heute ist es ein bisserl weiter verbreitet. Und so fallen auch beim Life Ball vermeintliche Widersprüche nicht auf. Etwa dass mit Agent Provocateur ein Damen-Dessouslabel die Modenschau ausrichtet.

Einige politische Schwulenaktivisten und „Fundamentalisten“ sehen die „Verlifestylung“ und Verwässerung von Begriff und Ball zwar mit Skepsis, doch laute Kritik äußert niemand. Auch, weil Keszler mit „Szene“-Ticketkontingenten das Worst-Case-Szenario verhindert: dass der Life Ball eine „schwule“ Veranstaltung ohne Schwule werden könnte nämlich.

Etwas für schwul zu halten, obwohl es das nicht ist, entspricht allerdings auch dem Anlass des Balles: „Aids ist längst keine ‚Schwulenseuche‘ mehr“, betont Elke Schlitz, die Geschäftsführerin der Wiener Aids-Hilfe. Das zeige auch die Statistik (Stand: April 2008): Von den insgesamt 15.000 HIV-Infizierten in Österreich sind zwar zwei Drittel männlich, doch 2006 steckten sich 42 Prozent der (insgesamt 442) Neuinfizierten bei heterosexuellem Sex an. 1998 waren es 27 Prozent. Besonders gefährdet: Frauen. Genauer: heterosexuelle Frauen. Da in den letzten Jahren wieder steigende Infektionszahlen ein sinkendes Risikobewusstsein signalisieren, sind Veranstaltungen wie der Ball – oder die Freitag präsentierte, 2010 in Wien stattfindende weltgrößte Aids-Konferenz – auch für die Präventionsarbeit wichtig.

Erst recht, wenn dort falsche Bilder (eben wie das der „Schwulenseuche“) korrigiert werden, sagt Schlitz. Und verweist auf die Ak_tion, mit der jenes Gerichtsurteil ironisiert wird, das es erlaubt, Gery Keszler „Berufsschwuchtel“ zu schimpfen: Von Elfriede Jelinek bis zu Thomas Schäfer-Elmayer outeten sich über hundert Promis als „Berufsschwuchteln“. Schlitz: „So gesehen gilt auch für den Life Ball: Wir alle sind Berufsschwuchteln.“ (Thomas Rottenberg, DER STANDARD; Printausgabe, 17./18.6.2008)