Regisseur Frank Castorf will nicht darum Opern inszenieren, um etwas für die Altersvorsorge zu leisten: "Rihm provoziert in mir ein Gefühl für Komik!"

Foto: Aurin
Standard: Musik an sich determiniert ja die Zeit in einem Maße, dass Sie sich als zulangender Theatermacher eingeengt fühlen könnten. Wie gehen Sie damit bei "Jakob Lenz" um?

Castorf: Natürlich gibt es die Disziplinierung durch das, was Musik ist. Ich wollte ja viel weitergehen, wollte eine Paraphrase mit dem Hofmeister-Stück von Lenz machen, das hätte die Musikstruktur aber gestört, hätte einen anderen Fluss ergeben. Jetzt sind es zwei Interruptionen von je 20 Minuten geworden, mit Texten von Georg Büchner. Das wird hoffentlich nicht zu volkshochschulhaft werden, aber es hat auch einen bildungspädagogischen Ansatz.

Wer kennt schon die Büchner-Novelle Lenz, diesen Meilenstein der ästhetischen Opposition? Auf der anderen Seite fällt es mir leicht, mich einer Art Werktreue zu überantworten. Warum soll ich versuchen, etwas besser zu machen, was der Komponist musikalisch toll vorformuliert hat und dem ich mich total zuordnen kann? Ich hoffe aber schon, dass meine Interruptionen nicht als überflüssig angesehen werden.

Man muss ja manchmal darum kämpfen, zu zeigen, dass es im deutschsprachigen Theater nicht nur Faust und Die Räuber gibt. Da existiert auch etwas, das es wiederzuentdecken und zu verteidigen gilt.

Standard: Wenn Sie die Arbeit mit Schauspielern mit derjenigen mit Sängern vergleichen?

Castorf: Bei Sängern hat man den Vorteil, dass sie den Text schon können. Da erzielt man schnell Ergebnisse. Bei dieser Produktion ist die Offenheit enorm. Von Germanist Hans Mayer gibt es ja dieses Standardwerk zu Büchner, das ja nie zitiert wird, weil alle einfach daraus abschreiben.

Hier haben sie es gelesen, und das freut mich. Da gewinnt man einen anderen Blick, und die Arbeit hier ist aufregender als jene mit einem eingespielten Avantgardistenteam im deutschsprachigen Theater - einschließlich der Volksbühne.

Man kennt sich, man kennt sich bis zum Überdruss. Man braucht dann so eine Art Vitaminstoß von Unbekanntheit. Es ist das hier also schon ein Abwechslung für mich und spannend. Georg Nigl, der den Lenz spielt, sagt, dass ihn die Rolle an seine Leistungsgrenzen treiben würde. Und es ist wunderbar, wenn einer diese Sportmentalität in Kunst übersetzen kann. Und: Bei einer Produktion muss man einander auch mögen, etwas gemeinsam wollen. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird es totalitär und sehr terroristisch.

Standard: Oper, also Verdis "Otello", haben Sie schon vor Jahren gemacht in Basel.

Castorf: Das war vor zehn Jahren, da kam ich mir vor wie ein Arrangeur, es war wie eine Vorbereitung aufs Altenteil. Das war aber durchaus interessant. Jedoch muss ich das nicht immer wieder so haben, das kann ich machen, wenn ich einmal an meine Kinder und an die Ernährungssicherung denken muss. Ist aber noch nicht der Fall.

Ich war auch in Kontakt mit Gérard Mortier, um in Paris Verdis Rigoletto zu machen. Das hat sich nicht ergeben. Grundsätzlich muss ich das Gefühl haben, an einem Musiktheaterort zu Hause zu sein und nicht einfach ein Auftragswerk arrangieren oder choreografieren zu müssen.

Ich will nicht das Gefühl, dass ich Autonomie verliere. Zu Oper und Regie im Allgemeinen kann ich sagen: Es wäre schön, von jenen befreit zu werden, bei denen es darauf hinausläuft, auf einer CD zu hören, wie eine Stimme zu klingen hat, und die das Gemachte von dem Originären nicht zu unterscheiden wissen.

Der Jakob Lenz war ein Angebot der Festwochen, eines durch Luc Bondy. Und ich bin ganz froh: Die Musik ist mir nahe, da ist in ihr ein Wissen um die Moderne und eine Liebe zum Außenseiterhaften.

Standard: Wie wirkte das Libretto von "Jakob Lenz" auf Sie?

Castorf: Libretti sind natürlich immer vereinfachend, und hier tut es mancher realen Figur bitter unrecht. Die Gegenspieler von Lenz sind simplifiziert. Aber dies alles ist großartig in Musik gebracht - wie Rihm das Außenseiterhafte der Novelle umgesetzt hat, das ist groß.

Standard: Ihr quasi privater Umgang mit Musik?

Castorf: Da ist ein ziemliches Spektrum. Ich bin ein Zappa-Verehrer, ich mag auch die Moderne. Manchmal hat sie dieses Pathos, das gebrochen wirkt, das hat dann etwas Komisches, da muss ich lachen - auch bei Rihm.

Wir landen beim Tragikomischen, wenn jemand etwa im sechsten Bild bei Jakob Lenz in seiner Not artikuliert: Einer versucht, mit Lenz über Kunst zu diskutieren, und der wiederum versucht, mit Büchners Sprache etwas zu sagen, was natürlich aussichtslos ist. Wie das musikalisch übersetzt wird, ist komisch, da muss ich lachen. Es ist aber kein Auslachen, sondern ein auswegloses Lachen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.5.2008)