Christian Müller-Uri: "Es wird auf die Aut-idem-Regelung ankommen. Wenn sie so ist, dass immer die billigste Substanz verabreicht werden soll, gibt es Probleme."

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Rolf Jens: "Als Arzt muss ich jenes Medikament verschreiben, das am besten hilft. Manchmal ist das ein Generikum, manchmal ein Originalpräparat

Österreichs Gesundheitssystem ist zu teuer. Die Sozialpartner schlagen vor, Medikamentenkosten durch verstärktes Verschreiben von Generika zu senken. Karin Pollack sprach mit dem Allgemeinmediziner Rolf Jens und dem Apotheker Christian Müller-Uri über mögliche Arzneireformen mit Sanierungsabsicht.

STANDARD: Bislang bekamen Patienten Medikamente beim Arzt. Schon bald könnten es nur noch Wirkstoffe sein. Apotheker müssten dann die günstigsten Präparate aussuchen. Ist das sinnvoll?

Jens: Tatsache ist, dass bereits heute 50 bis 60 Prozent aller verschriebenen Medikamente Generika sind. Finanziell betrachtet ist beim Austausch von Originalpräparat zu Generikum also nicht viel zu holen.

Müller-Uri: Aus unserer Sicht stellt es kein Problem dar. Wir sind gewohnt, in Wirkstoffen zu denken. Und Generika sind wirk- stoffidente Präparate zum Original.

STANDARD: Wirkstoffident wird auch als "aut idem" bezeichnet. Was bedeutet ident?

Jens: Die Dynamik in der PharmaIndustrie ist folgende: Eine Firma entwickelt mit viel Aufwand ein Präparat und bringt es zu einem bestimmten Preis auf den Markt. Solange das Patent läuft, darf es nicht nachgeahmt werden, nach Ablauf dieser Frist schon. Nun treten die Generika-Hersteller auf den Plan und bauen ein Medikament nach. Ihr Ziel ist es, in viel verschriebenen Medikament-Segmenten mitverdienen zu können. Damit ein Generikum attraktiv ist, muss es billiger als das Original sein. Oft bleibt es nicht bei einem Nachahmer, dadurch sinken die Preise.

Müller-Uri: Die Strategie der Generika-Hersteller läuft derzeit über die Ärzte, die durch gutes Marketing überzeugt werden, warum das eigene Produkt das beste sein soll.

Jens: Es kann auch sein, dass das Originalpräparat zum billigsten wird. Es gibt viele Spielarten.

STANDARD: Sind Generika schlechter als Originale?

Müller-Uri: Nein. Das, was in der Entwicklung von Medikamenten die größten Kosten verursacht, sind die aufwändigen Studien, die Pharmafirmen für die Zulassung eines Medikaments machen müssen. Im Gegensatz zu den Originalherstellern ersparen sich Generika-Produzenten diese Entwicklungskosten.

Jens: Originalpräparate haben sich bewährt, Generika müssen lediglich beweisen, dass sie zu 80 Prozent gleichwertig sind.

Müller-Uri: In Bioäquivalenzstudien geht es darum zu zeigen, dass ein Wirkstoff nicht nur chemisch ident, sondern auch in der Wirkung im Körper gleich ist.

STANDARD: Bei nur 80 Prozent Wirkung des Originalpräparates?

Müller-Uri: Ganz wichtig zu wissen ist, dass immer von Intervallen gesprochen wird. Sie beginnen bei 80 Prozent, können durchaus aber bis zu 125 Prozent der Wirkungsweise entsprechen. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, ein Generikum hätte im Vergleich zum Originalpräparat nur 80 Prozent der Wirkung. Ganz im Gegenteil: Die meisten Generika liegen bei 100 Prozent und sind wirkungsgleich.

STANDARD: Heute haben Ärzte noch Spielraum, Generika oder Originale zu verschreiben.

Jens: Spielraum gibt es nicht. Als Arzt muss ich letztlich jenes Medikament verschreiben, das dem Patienten am besten hilft. Ich verschreibe Medikamente, von denen ich überzeugt bin, dass sie für eine Indikation die besten sind. Manchmal ist es ein Generikum, manchmal ein Originalpräparat. Nicht jedes Medikament aus derselben Wirkstoffgruppe hat eine idente Wirkung. Dieses Phänomen ist in der Drogensubstitution genau untersucht worden.

STANDARD: Welche Medikamentengruppen wären von einer Neuregelung besonders betroffen?

Jens: Alle Medikamente zur Behandlung chronischer Erkrankungen, denn in diesem Bereich wachsen die Patientenzahlen, und deshalb gibt es viele Nachahmerprodukte. Konkret sind es also Medikamente zur Behandlung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen, sämtliche Arzneien für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gegen Bluthochdruck in all seinen Facetten, aber auch Asthma.

STANDARD: Wie viele verschiedene Medikamente gibt es durchschnittlich für einen Wirkstoff?

Müller-Uri: Ganz unterschiedlich. Bei schmerzstillenden Wirkstoffen bis zu 20 verschiedene, bei anderen nur zwei. Schlussendlich hängt es auch von den Sozialversicherungsträgern ab, für die ein Generikum interessant genug sein muss, um in die grüne Box (all jene Medikamente, die von den Krankenkassen rückerstattet werden, Anm.) zu kommen. Auch Medikamente aus der gelben Box (chefarztpflichtige Medikamente, Anm.) bekommen zunehmend Konkurrenz durch Generika. In einer ÖBIG-Studie wird das Einsparungspotenzial mit 40 Millionen Euro beziffert.

Jens: Im Gesamtkontext lächerlich wenig.

Müller-Uri: Ich glaube ebenfalls nicht, dass sich das Gesundheitssystem nur über den Arzneimittelsektor sanieren lässt.

STANDARD: Haben denn alle Apotheken so große Lager, um sämtliche Wirkstoffe der verschiedenen Hersteller anbieten können?

Müller-Uri: Die Verfügbarkeit aller Medikamente ist ein Problem, das man mit einer Neuregelung lösen könnte. Das Lagerproblem macht uns Sorgen. Wie die Aut-idem-Regelung funktionieren soll, ist aber noch offen. Von der Formulierung wird auch ihr Erfolg abhängen. Als oberstes Prinzip gilt, dass der Patient die Medikamente auch einnimmt, weil er sie gut verträgt.

STANDARD: Bleibt dem Patient überhaupt noch ein Mitspracherecht?

Jens: Nein.

Müller-Uri: Doch, denn wir wollen, dass der Patient mitentscheiden kann. Ein mögliches Szenario: Wenn ein Patient im Krankenhaus (dort werden Originalpräparate verschrieben, weil Spitäler von Pharmafirmen versorgt werden, Anm.) eine Arznei erhält, die er nach seiner Entlassung weiter in der Apotheke bezieht, soll es zwei Möglichkeiten geben: Er kann ein gleichwertiges, preisgünstigeres Medikament von einem anderen Hersteller bekommen, also ein Aut-idem-Produkt, oder er zahlt auf, wenn er das Originalpräparat weiterhin will. Das ist derzeit nicht möglich.

Jens: Nicht die Patienten, sondern die Apotheker werden entscheiden, welches Medikament abgegeben werden wird. Mitunter kann es auch davon abhängen, was in der Apotheke gerade vorrätig ist. Überhaupt ist die Verwirrung heute schon groß genug. Wenn Patienten, die regelmäßig die vom niedergelassenen Arzt verschriebenen Medikamente nehmen, ins Spital kommen, werden sie ja dort umgestellt. Dann passt plötzlich alles wieder nicht zusammen, und das Endergebnis ist eine einzige große Verwirrung. Eigentlich steht der Patient den Sozialpartnern im Weg.

Müller-Uri: Es wird auf die Aut-idem-Regelung ankommen. Wenn sie so formuliert ist, dass immer nur die billigste Substanz verabreicht werden darf, dann wird es zu Problemen mit Patienten und Engpässen in der Verfügbarkeit kommen. Besser wäre es, einen Preiskorridor zu definieren.

STANDARD: Welche Fälle werden schwierig sein?

Müller-Uri: All jene Fälle, in denen Menschen auf eine Vielzahl von Medikamenten angewiesen sind, also beispielsweise beim Metabolischen Syndrom, das viele Österreicher betrifft. Die nehmen Lipidsenker, ACE-Hemmer, eventuell einen Blutdrucksenker vielleicht auch ein Antidiabetikum - da muss viel aufeinander abgestimmt werden.

STANDARD: Ihr Wunsch für Aut-idem-Klauseln?

Müller-Uri: Sollte sie kommen, so wäre es gut, wenn wir in die Gestaltung mit eingebunden wären. Denn bisher ist das nicht geschehen. Wir sind von diesem Sozialpartner-Papier überrascht worden.

Jens: Genauso ging es der Ärzteschaft.

Müller-Uri: Doch erstmals ist der Wille zu einer Strukturänderung zu erkennen, und das ist positiv. In zehn europäischen Ländern ist die Aut-idem-Regelung gelebte Praxis, und meines Wissens gab es nirgends große Widerstände. (MEDSTANDARD, Printausgabe, 18.05.2008)