Wie zum Trotz haben drei der leserstärksten österreichischen Zeitungen das Bild des mutmaßlichen fünffachen Axt-Mörders veröffentlicht. Und auch den Namen gleich ausgeschrieben. Ein klarer Verstoß gegen das Medienrecht, auch wenn offensichtlich ein Geständnis des Täters vorliegt. Neben den zwei in Wien erscheinenden Qualitätszeitungen hielt sich nur die Grazer "Kleine" ans Medienrecht.

Die Öffentlichkeit hätte sich Zurückhaltung erwarten dürfen, weil es seit den Ereignissen in Amstetten eine Diskussion um das Verhalten österreichischer Medien bei Kriminalfällen gibt. Leider setzen sich Verleger und Chefredakteure - in eigener Sache - über das geltende Recht hinweg und forcieren zusätzlich auch noch eine "Liberalisierung" des Opferschutzes. Was im Fall von News wenigstens zu heftigen Leserreaktionen geführt hat.

Schuld an dieser medialen Verwahrlosung trägt auch die Politik. Während man zur Öffnung der Verbrecherkartei bei Sexualdelikten sofort eine Regierungsvorlage gebastelt hat, bleibt man medienrechtlich zurückhaltend. Immerhin hat es Rügen für das Magazin gegeben, aber eine Medienenquete wurde erst für Juli angekündigt.

Der Aufschub wiederum ermuntert die Quotenjäger in der Branche. Umso mehr, als ihre moralischen Maßstäbe völlig durcheinander geraten sind. Eine "österreichische" Tageszeitung titelte nach den Entdeckungen von Amstetten: Schlimmstes Verbrechen aller Zeiten. Freilich wird man von den Verantwortlichen solcher Medien nicht verlangen können, dass sie im Aufmacher-Stress auch noch an den Holocaust oder an den Gulag denken. Aber die Namen der Serienmörder Engleder und Gufler müssten ihnen genauso geläufig sein wie dem konservativen Innenminister, der sich im Parlament ähnlich äußerte.

Um über so bedenkliche Entwicklungen zu verhandeln, gibt es in den höher stehenden westlichen Demokratien einen Presserat (oder etwas Ähnliches). In Österreich wurde er vor etlichen Jahren abgemurkst. Leider wollen neben dem Boulevard selbst Schriftleiter wie der Chefredakteur der Presse, übrigens ein Theologe, nach wie vor keine Renaissance des Presserats. Über mediale Verwerfungen zu urteilen möge man "dem Markt" überlassen. So als hätte der Markt jemals über eine moralische Qualität verfügt.

Über andere, in der Verantwortung der Blattmacher liegende Verwerfungen müssen ohnehin die Leserinnen und Leser entscheiden. Etwa darüber, ob sie es hinnehmen, dass der mutmaßliche Peiniger von Amstetten im Boulevard eine Interview-Aufmachung bekommt, die der einer Gesprächspräsentation des Bundeskanzlers gleichkommt. Wie weit sind da die Maßstäbe verrutscht?

Vorläufig hat der jüngste Mehrfach-Mord die Keller-Tragödie aus den Schlagzeilen verdrängt. Und bald wird das Kreuzeck wichtiger sein als die elektronische Torsperre im Amstettener Verlies.

Potenziellen Verbrechern ist zu raten, die EURO abzuwarten. Denn sie sollten die journalistische Geilheit in ihre Planungen einbeziehen. Angesichts der Situation auf dem österreichischen Pressemarkt gibt es durchaus ein neues Geschäftsfeld: das Verbrechensmarketing. (Gerfried Sperl/ DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2008)