Mystische Heilige und alchemistische Symbole versammelte der jüngste und talentierteste Zeichner der Phantastischen Realisten, Ernst Fuchs: "Kampf der verwandelten Götter" (1951/52).

Foto: Ernst Fuchs WerkvermittlungsgmbH
"Ja, wenn sie das machen wollen, dann gehen sie doch lieber einen Stock höher zum Herrn Gütersloh", komplementierte der Akademie-Professor Robin Christian Andersen 1945 seine jungen Studenten Arik Brauer, Ernst Fuch, Anton Lehmden und Wolfgang Hutter aus seiner Klasse.

Die angehenden Künstler hatten so ihre Probleme mit den strengen formalistischen Methoden des dogmenverhafteten Lehrers, dem Zwang zum "Zitterstrich", der eingeschränkten Farbpalette und der Regentschaft der immergleichen Bildthemen: Porträt, Landschaft und Stillleben, Stillleben, immer wieder Stillleben. Ganz besonders gequält fühlten sie sich von der Vorgabe, die Figur beim Aktzeichnen in ein geometrisches Gerüst einzuspannen. Sie mussten also weg. So gesehen ist auch Andersen, dem die Freiheit der Fantasie alles andere als geheuer war, ein prägende Figur für die späteren "Phantasten" gewesen. Ohne die Steine, die er ihnen in den Weg gelegt hat, wären sie wohl nie geflohen.

Ihre Flucht führte sie also – wie von Andersen empfohlen – zu Albert Paris Gütersloh, den Herbert Boeckl 1945 an die Akademie berufen hatte. Gütersloh, der auch als Schriftsteller, Regisseur und Bühnenbildner tätig war, war ausreichend tolerant und offen, um das Suchen der jungen Künstler in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechend zu unterstützen.

Der Kunsthistoriker Wieland Schmied, zu Zeiten der Antiwelle wichtigster Anwalt des Phantastischen Realismus, beschreibt die Rolle Güterslohs als "ein Vorbild, das nicht selber bemüht ist, als Vorbild in Erscheinung zu treten", als jemanden, der "nicht aktiv eingegriffen hat, sondern der einfach als Orientierungsfigur vorhanden war".

Der Schule des Wiener Phantastischen Realismus widmet das Belvedere nun – fast fünfzig Jahre nach der ersten großen Ausstellung der Gruppe zu Jahresende 1959, die ebendort in der Österreichischen Galerie stattfand – erneut eine Präsentation. Anlass gibt der bald bevorstehende achtzigste Geburtstag der vier noch lebenden Hauptvertreter Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter, Anton Lehmden und Arik Brauer. Rudolf Hausner, der als Einziger nicht bei Gütersloh studiert hatte, starb 1995. Besonders das frühe Schaffen der Phantastischen Realisten steht im Fokus der Ausstellung, die beiden Nachkriegsjahrzehnte 1945 bis 1965 waren im Rückblick die entscheidenden.

Faszination des Bizarren

Ebenso beleuchtet die Schau Wurzeln und Kontext der Wiener Schule. Formal orientierten sich die "jungen Phantasten" – ein Begriff, der immer auch Träumerisches und Schwelgerisches mitschwingen lässt – an der Spätrenaissancemalerei, sie waren fasziniert von den bizarren Themen jener Zeit, wie Gegenüberstellungen mit dem berühmten Medusenhaupt von Peter Paul Rubens und Komposit-Blumenporträts aus der Arcimboldo-Nachfolge illustrieren. Beides Beispiele, die die jungen Künstler in Wien, in der Galerie der Akademie wie im Kunsthistorischen Museum, wo auch das von Gestalten überquellende Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch zu bewundern war, studieren konnten. Eine Angst vor der Leere, ein Horror Vacui, der auch in die Gemälde der Phantastischen Realisten einging, obwohl in der Nachkriegszeit sicher auch die Materialknappheit, teure Farben und Leinwände die Informationsfülle der Bilder ein klein wenig mitbedingt haben.

Auch die internationalen Surrealisten, mit deren Arbeit die zunächst "Wiener Surrealisten" genannte Gruppe sich auseinandersetzte, wandten die altmeisterlichen Maltechniken an, insbesondere Salvador Dalí, der in der Ausstellung mit Der Turm (1936) vertreten ist. Auch andere Beispiele, etwa Giorgio de Chiricos Piazza d’Italia (1934), unterstreichen diese Auseinandersetzung mit dem Unbewussten, dessen Anteil am Schaffensprozess 1964 in Paris zu einem heftigen Streit zwischen Rudolf Hausner und André Breton führte.

Auch der Keimzelle des Phantastischen Realismus, dem Wiener "Art Club", dem Gütersloh vorstand und der im legendären "Strohkoffer" in der Kärntner Passage untergebracht war, ist ein Kapitel der Ausstellung zugedacht. Damals saßen, erzählt Schmied, die jungen Phantasten kollegial verbunden neben der späteren Gruppe um Nächst St. Stephan; das Fehlen von Sammlern, Kunstzeitschriften und Galerien bis in die späten 1950er-Jahre einte sie.

Entzweit war man hingegen lange Zeit über den Namen der Gruppe. Die Beschreibungen reichten von "Phantasmagoriker", einer Beschreibung Güterslohs, die Lehmden und Hausner die Haare aufstellte, bis zum Phänomen eines altösterreichischen Manierismus. Erst nach 1959 setzte sich der Begriff des Phantastischen Realismus durch. Eigentlich eine "Contradictio in Adjecto". (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 20.05.2008)