Zur Person

Ursula Wiedermann-Schmidt ist Professorin für Vakzinologie an der Medizinischen Universität Wien und Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin

Foto: privat
Wenn es um den 4-fach Impfstoff Diphterie, Tetanus, Kinderlähmung und Keuchhusten geht, dann müssten laut Österreichischem Impfplan die heute 25-Jährigen zur ersten Impf-Auffrischung. Denn alle zehn Jahre, so die Empfehlung, wäre sie nötig. Die Gefahr werde unterschätzt, so eine Aussendung der Österreichischen Ärztekammer, junge Erwachsene denken selten daran.

Die Expertin Ursula Wiedermann-Schmidt findet im Gespräch mit Andrea Niemann, dass allerdings gerade durch die Reisezeit und Großveranstaltungen wie die bevorstehende Europameisterschaft häufig vergessene Erkrankungen in greifbare Nähe rücken.

derStandard.at: Nach der Durchimpfung in der Schule: Welche Auffrischungen vergessen junge Erwachsene am häufigsten?

Wiedermann-Schmidt: Eine Auffrischungsimpfung gegen Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten und Polio soll alle 10 Jahre erfolgen. Wer in der Kindheit noch keine Impfung gegen Hepatitis B erhalten hat, soll laut WHO auch diese erhalten.

derStandard.at: Bei welchen Impfungen ist die Akzeptanz besonders schlecht?

Wiedermann-Schmidt: Besonders schlecht ist die Impfakzeptanz hinsichtlich Influenza, die für alle jährlich empfohlen wird. Auch was Masern-Mumps-Röteln betrifft wissen wir, dass die Durchimpfungsraten in der Bevölkerung zu niedrig sind und wir haben, besonders angesichts der kommenden Euro, mehrfach aufgerufen den Impfstatus überprüfen zu lassen. Das betrifft vor allem die 15- bis 40-Jährigen. Für die FSME Impfung ist hingegen die allgemeine Impfakzeptanz sehr gut.

derStandard.at: Ist es nicht verständlich, dass man "impfmüde" wird, wenn immer mehr Impfungen empfohlen werden?

Wiedermann-Schmidt: Offenbar ist gerade der Erfolg der Impfprogramme, die zur Reduktion vieler Infektionskrankheiten führten, Ursache für die zunehmende Impfmüdigkeit und wachsende Impfskepsis. Man möge sich aber doch die Situation in Entwicklungsländern bewusst machen, in denen Gesundheitsvorsorge nicht leistbar ist, und sich darin erinnern in welcher überaus privilegierten Situation wir uns befinden.

derStandard.at: Was sind die Vorteile und was die Nachteile von Mehrfachimpfstoffen?

Wiedermann-Schmidt: Der große Vorteil der Mehrfachimpfungen ist, dass man sich mit "einem Stich" gleich gegen mehrere Krankheitserreger schützen kann. Dadurch wird umgangen, dass der Impfling mehrmals hintereinander gestochen werden muss, was erfahrungsgemäß immer ein Problem hinsichtlich der Impfakzeptanz war.

derStandard.at: Trotzdem wird gerade hier die Verträglichkeit immer wieder in Frage gestellt.

Wiedermann-Schmidt: Aufgrund neuer Technologien in der Impfstoffherstellung konnte die Anzahl der Impfantigene, die in den Mehrfachimpfungen enthalten sind, auf ein Minimum reduziert werden. Damit wurde eine bessere Verträglichkeit gegenüber früheren Impfstoffen erreicht.

Zum Beispiel der früher verwendetet Keuchhustenimpfstoff: der war zwar ein Einzelimpfstoff, aber ein "Ganzkeimimpfstoff". Das heißt er enthielt das gesamte Bakterium mit insgesamt mehr als 3.000 Antigenen und damit mit einer besonders hohen Nebenwirkungsrate. Dieser wurde durch einen Keuchhustenteilantigen-Kombinationsimpfstoff abgelöst.

derStandard.at: Wieviele Antigene sind durchschnittlich in Mehrfachimpfstoffen?

Wiedermann-Schmidt: In den heutigen Mehrfachimpfstoffen sind im Durchschnitt nicht mehr als 25 verschiedene Antigene enthalten, wodurch die so häufig geäußerte Sorge der Überlastung des Immunsystems durch Mehrfachimpfstoffe völlig unbegründet ist.

derStandard.at: Gibt es Risikogruppen, für die Sie trotzdem eher Einzelimpfstoffe empfehlen würden?

Wiedermann-Schmidt: Nein, die heutigen Kombinationsimpfstoffe sind äußerst sicher und effizient und es gibt in der Regel keinen Grund diese nicht zu verwenden. Es kann jedoch vorkommen, dass zum Beispiel die Diphtherie-Tetanusimpfung und Polioimpfung nicht immer synchron geimpft wurden und daher in der Folge Auffrischungsimpfungen getrennt erfolgen.

derStandard.at: Diphtherie und Polio geraten bei uns in Vergessenheit. Wie sieht die Situation weltweit aus?

Wiedermann-Schmidt: Für Polio gilt, dass diese Erkrankung in den meisten westlichen Ländern nicht mehr vorkommt. Allerdings ist Polio nach wie vor ein Problem in Entwicklungsländern wie Nigeria, wo mehr als 1.000 Fälle gemeldet wurden oder Indien mit mehr als 700 Fällen im Jahr.

Bezüglich Diphtherie gab es in den 90iger Jahren in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion einen großen Diphtherieausbruch mit mehr als 150.000 Fällen mit Tausenden Toten. Auch diese schwere Infektionskrankheit, an der heute noch fünf bis zwanzig Prozent der Erkrankten sterben, kann jederzeit nach Österreich importiert werden und daher ist die Durchführung der Impfung unbedingt nötig.

derStandard.at: Ist eine Tetanusimpfung vorbeugend zu empfehlen, oder reicht es im Falle einer Verletzung im Krankenhaus diese nachzuholen?

Wiedermann-Schmidt: Der Sinn ist, dass bei Einhaltung der Auffrischungsimpfungen im Falle einer Verletzung keine Impfung durchgeführt werden muss. Wenn hingegen die vorbeugende Impfung nicht durchgeführt wird und stattdessen bei jeder Verletzung eine Impfung im Krankenhaus durchgeführt wird, läuft man Gefahr, dass zu häufig geimpft wird und dadurch starke lokale Nebenwirkungen wie starke Rötung, Schwellung und Entzündungen durch eine "Überimpfung" auftreten, die als Arthus Phänomen bezeichnet werden.

derStandard.at: Wenn eine Fernreise im Sommer geplant wird, wie viele Wochen vorher sollte man sich impfen lassen, damit eine Immunität gewährleistet ist?

Wiedermann-Schmidt: Es wird empfohlen rund vier Wochen vor der Abreise einen Spezialisten, also einen Reisemediziner, aufzusuchen. Dadurch hat man genügend Zeit um mögliche Impfungen, die auch für Österreich empfohlen sind, aufzufrischen und spezifisch für das Reiseland empfohlene Impfprogramme durchzuführen.

derStandard.at: Was tun, wenn man seinen Impfpass verloren hat, nicht findet oder nicht mehr weiß wogegen man wann geimpft wurde?

Wiedermann-Schmidt: Wenn gar keine Unterlagen vorliegen, der Impfling aber davon ausgeht, dass frühere Impfungen durchgeführt wurden, wird in der Regel die anstehende Impfung durchgeführt. Danach empfiehlt sich im Abstand von vier Wochen eine Impferfolgskontrolle, sprich Titerkontrolle durchzuführen. Wenn danach ein ausreichender Titer vorliegt, muß keine weitere Impfung durchgeführt werden, wenn der Titer zu niedrig ist, wird eine weitere Impfung durchgeführt.

Bei Erkrankungen wie Masern, Mumps, Röteln ist es ebenfalls möglich mit Hilfe einer Titerkontrolle festzustellen, ob eine Immunität vorliegt oder eine Impfung nötig ist.

derStandard.at: Wann macht es Sinn einen Titer-Test durchführen zu lassen?

Wiedermann-Schmidt: Bei Impfungen, die in unregelmäßigen Impfintervallen durchgeführt wurden, mehrmals eine Grundimmunisierung begonnen aber nicht beendet wurde oder die letzte Impfung mehr als zehn Jahre her ist. Ein Titer-Test kann aber nur durchgeführt werden, wenn es ein standardisiertes Testsystem gibt.

derStandard.at: Welche Impfungen sind ihrer Meinung nach unerlässlich?

Wiedermann-Schmidt: Alle Impfungen, die im österreichischen Impfplan empfohlen sind – das betrifft besonders alle Kinderimpfungen, die Hepatitisimpfung, die regelmäßigen Auffrischungsimpfungen im Erwachsenenalter und die jährliche Influenzaimpfung.

Vielleicht sollte man abschließend nochmals betonen: es geht beim Impfen nicht nur um den Individualschutz, sondern es geht auch darum, dass ein Geimpfter andere Menschen nicht anstecken kann.