Als Wagnerianer hat man es dieser Tage nicht leicht. Regietheatrale Taugenichtse benutzen die Werke des heiligen Tonsetzers zum fröhlichen Ausschlachten, adäquate Sänger gibt es eh kaum mehr, und nur oft genug brettern hochgepuschte Dirigenten Lautstärke-orientiert durch die Partituren. Das Grand Théâtre de Genève machte da in den letzten Jahren eine Ausnahme, es gab viel Wagner auf hohem Niveau plus zurückhaltende Regie. Beim neuen Lohengrin hatten konservative und progressivere Wagnermaniacs zu Recht einiges zu meckern, realisierte doch der Brite Daniel Slater das Stück im strengen Militärlook – wobei sich Braunhemden mit Fantasieabzeichenuniformen munter abwechselten. Das hatten wir schon.

Immerhin schafft Slater immer wieder Atmosphäre und kann vor allem das Frauenduo wirkungsvoll in Szene setzen. Wenn sich die Feindinnen Ortrud (phänomenal: Petra Lang) und Elsa (eindimensional: Soile Isokoski) begegnen, entsteht ein wahrer Sog düsterer Emotionen. Die militaristischen Herren wirken ob des Marschierens und Stechschreitens dagegen eher albern.

Auch Lohengrin (ordentlich: Christopher Ventris) stolpert recht verloren durch die Gegend, selbige ist übrigens eine zerstörte Bibliothek – was wohl unmittelbar zur politisch korrekten und etwas plakativen Deutung "Soldateska zerstört Kultur und Geistesleben" führen muss. Apropos Schwan: Den gibt es bei Slater nicht, obgleich der Genfer See nur einen Steinwurf entfernt liegt. Statt des Schwans und einer überzeugenden Regie bot immerhin das Orchester unter Leif Segerstam einen fulminanten Hörgenuss ohne Übersteuerungen. Während der Pausen hörte man entnervte Kommentare auf Französisch, Englisch, Deutsch sowie Oberfränkisch. Denn rund um die Lohengrin-Premiere fand der Internationale Richard-Wagner-Kongress statt, und hierfür reiste auch halb Bayreuth an. Die geplante Nachfolgeregelung wurde reichlich, jedoch mit der Bitte um absolute Diskretion kommentiert. Offen und deutlich freute sich indes der Pariser Wagner-Verband, hier ist Eva Wagner-Pasquier Ehrenpräsidentin …

Die Hirtenweise

Der Chef der Genfer Wagnerianer, Georges Schürch, hielt sich bedeckt und reflektierte lieber in einem sehr ausführlichen Vortrag über den Einfluss der hohen Schweizer Berge auf den großen Komponisten. Schürch schürfte tief in Wagners autobiografischen Schriften und fand eine riesige Anzahl konkreter Stellen: Wagner kommt die Idee zur Hirtenweise im "Tristan" morgens auf einer Berghütte, ein erklettertes Gebirgsmassiv wird stracks zum Walkürefelsen, nach langen Wanderungen imaginiert Wagner den Tod von Tristan und Isolde in einem Luzerner Luxushotel – mit dem Hotelchef persönlich als Sterbebegleiter. Genie und Selbstironie liegen offenkundig zuweilen ganz nah beieinander. Ganz enthusiastisch bemerkte Wagner an anderer Stelle dann noch die Vorzüge eines guten Murmeltierbratens – na ja, wenn es denn unbedingt sein muss(te) …

Neue Trilogie kommt

Der Wagner-Kongress ist mittlerweile weitergezogen, aber die Genfer Oper plant in der kommenden Saison Großes – jenseits des Meisters. Frankreichs Regisseur Olivier Py wird im Herbst gleich drei Opern am Stück in Szene setzen: Die "teuflische Trilogie" besteht aus Hoffmanns Erzählungen, La damnation de Faust und dem Freischütz . Man darf gespannt sein. Den auch nicht gerade zahmen Rake’s Progress setzte er in Paris unlängst recht belanglos in den Sand. Vielleicht sollte er sich von der Bergwelt rund um Genf inspirieren lassen. Manchmal entstehen aus solchen Begegnungen ja durchaus große Dinge. (Jörn Florian Fuchs aus Genf, DER STANDARD/Printausgabe, 20.05.2008)