Foto: Lahnsteiner

Versorgte chronische Wunde am Bein

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Chronische Wunde am Bein

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Elisabeth Lahnsteiner ist Allgemeinmedizinerin und Spezialistin für Wundbehandlung in Wien

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Fast eine halbe Million Menschen in Österreich leiden unter chronischen Wunden wie dem diabetischem Fuß oder dem offenen Fuß, die Dunkelziffer ist noch höher. Die Wundbehandlung wird zwar immer moderner, die Verbände immer angenehmer für die Patienten. Doch ohne Selbstheilungskräfte geht bei der Wundheilung gar nichts. Allgemeinmedizinerin Elisabeth Lahnsteiner spricht mit Marietta Türk über die medizinischen Möglichkeiten diese körpereigenen Kräfte zu (re)aktivieren.

derStandard.at: Hat Wundheilung automatisch mit Selbstheilung zu tun?

Lahnsteiner: Grundsätzlich hat der Körper Selbstheilungskräfte, ein eigenes Abwehrsystem und einen Reparaturmechanismus. Das beginnt bei Wunden bei der Gerinnungskaskade bis hin zum Gewebsaufbau.

derStandard.at: Wie reagiert ein gesunder Körper auf kleine akute Wunden?

Lahnsteiner: Zuerst startet die Gerinnung und dann der provisorische Gefäßverschluss. Dann fährt das Immunsystem auf, das Fremdkörper, die in die Wunde kommen, wie Schmutz oder Bakterien, abwehrt. Die klassische Entzündungsreaktion, die dabei abläuft, sieht man in der lokalen Rötung, Schwellung und Überwärmung – damit kann der Körper aber umgehen.

derStandard.at. Was ist der Unterschied zwischen einer akuten und einer chronischen Wunde?

Lahnsteiner: Bei der chronischen Wunde kommt eben dieser natürliche physiologische Heilungsprozess zum Stillstand. Es gibt einen Störfaktor entweder durch eine erhöhte Bakterienlast aber auch durch eine Abwehrschwäche des Körpers oder durch eine Grunderkrankung.

derStandard.at: Stichwort Grunderkrankungen: Mit welchen Wunden hat man es in der chronischen Wundversorgung zu tun?

Lahnsteiner: Bei Diabetikern kommt es beispielsweise durch eine schlechte Blutzuckereinstellung zur Veränderung in der Knochenstruktur und zu Empfindlichkeitsstörungen, also dem typischen diabetischen Fuß mit seinen Deformationen. Häufig sind Durchblutungsstörungen der Arterien oder Venen Ursache für schlecht heilende Wunden. Druckgeschwüre (Dekubitus, Anm.) entstehen dann, wenn Patienten, die immobil sind, nicht ausreichend bewegt werden. Durch die Druckbelastung über längere Zeit auf ein Körperareal gehen Hautzellen zugrunde, Gefäße werden abgedrückt, es kommt kein Sauerstoff in dieses Areal. Dadurch gehen Gewebezellen zugrunde und ein Druckgeschwür entsteht.

derStandard.at: Kann aus einer akuten Verletzung auch eine chronische entstehen?

Lahnsteiner: Selbstverständlich. Das kann eine Wundheilungsstörung nach einer Operation sein. es kommt häufig vor, wenn man die erwähnten Risikofaktoren nicht rasch genug behandelt.

derStandard.at: Könnte eine Wunde auch ohne Selbstheilungskräfte heilen, zum Beispiel nur durch die Gabe von Antibiotika?

Lahnsteiner: Der Körper muss immer mithelfen, es ist wichtig, dass er zuerst seine Selbstheilungskräfte mobilisiert und dann kommt es darauf an, ob das ausreicht oder ob durch Maßnahmen der Wundbehandlung oder durch die Antibiotikatherapie nachgeholfen werden muss.

derStandard.at: Was macht die moderne Wundtherapie?

Lahnsteiner: Durch die moderne Wundbehandlung führen wir die Wundheilung aus der chronischen Phase wieder zurück in die physiologische Phase. Wichtig dafür, dass die Selbstheilungskräfte wieder aktiviert werden, ist die richtige Wundvorbereitung.

derStandard.at: Wie sieht denn eine ideale Wundvorbereitung aus?

Lahnsteiner: Hier gilt das so genannte TIME System, das auch von der Europäischen Wound Management Association (EWMA) empfohlen wird. Die wichtigen Elemente sind dabei "T" wie Tissue oder Gewebe, "I" wie Infection, "M" wie Moisture oder Feuchtigkeit oder "E" wie Edge oder Wundrand. In der Behandlung werden alle diese Faktoren beobachtet und danach wird das Therapiekonzept ausgerichtet.

derStandard.at: Wie funktioniert das genau?

Lahnsteiner: Das Ziel ist immer optimale Bedingungen zu schaffen mit Maßnahmen von außen, damit die Wunde abheilen kann. Der Mediziner schaut die Wunde an, lokalisiert, vermisst und fotografiert sie und versucht die Ursache herauszufinden. Wenn die Wunde Nekrosen, dicke Fibrinbeläge oder abgestorbenes Material aufweist, muss es abgenommen werden. Nur auf einem sauberen Wundgrund können die Verbandsstoffe, die wir dann applizieren - Alginate (Wundauflage aus Algen, Anm.) Schaumstoffe, Silberverbände - ihre optimale Wirkung entfalten und ein Zuviel an Feuchtigkeit abnehmen. Das Gute an den Schaumstoffen ist, dass sie aber die nötige Restfeuchtigkeit in der Wunde lassen.

Man muss wissen, ob der Patient Schmerzen hat, Entzündungszeichen oder Fieber aufweist. Danach richte ich wieder mein Therapiekonzept aus. Das heißt ich schaue ob ein Silberverband ausreicht um die Wundinfektion zu behandeln oder ob ich zusätzlich Antibiotika brauche.

derStandard.at: Keime spielen eine Rolle bei den Infektionen. Ist Keim gleich Keim?

Lahnsteiner: Jede Wunde ist keimbesiedelt, es gibt keine sterile Wunde. Normale Besiedelungskeime machen keine Sorgen aber es gibt auch gefährliche Keime wie Krankenhauskeime. Bis zu einem gewissen Ausmaß kann der Köper sie abtöten. Funktioniert das nicht, ist ein intensives Konzept gefordert.

derStandard.at: Kann falsches Wundmanagement auch schädigen?

Lahnsteiner: Natürlich. Über die Wundheilung und die Prozesse, die dabei stattfinden, hat man in den vergangenen Jahren sehr viele neue Erkenntnisse gewonnen. Die moderne Wundbehandlung ist so ausgerichtet, dass der Wundgrund feucht und die Wundumgebung trocken gehalten wird. Das heißt, wir behandeln nach dem Prinzip der feuchten Wundbehandlung. Früher hat man Antibiotika auf die Stelle aufgetragen - das wäre heute bei einer chronischen Wunde ein Behandlungsfehler.

derStandard.at: Warum wirkt Silber so gut?

Lahnsteiner: Die Applikation von silberhältigen Wundauflagen ist ein ganz spannendes und hoch effektives Therapeutikum. Silber hat eine enorme Kraft Bakterien rasch abzutöten und Wundinfektionen wieder unter Kontrolle zu bringen.

derStandard.at: Die Wundbehandlung war lange in der Pflege angesiedelt, warum ist die ärztliche Behandlung so wichtig?

Lahnsteiner: Die ärztliche Begutachtung ist unerlässlich um die Ursache der Wunde zu erkennen, Risikofaktoren zu behandeln und ein auf den Patienten individuell abgestimmtes Wundtherapiekonzept zu erstellen.

Zu den häufigsten Komplikationen gehört auch die Wundinfektion. Daher ist es wichtig, dass man die klinischen Anzeichen kennt und weiß wie man Wundinfektionen rasch abändert. Ich bin Allgemeinmedizinerin und konzentriere mich in meiner Wundordination auf die Wundbehandlung und habe Spezialisten zur Seite: einen Gefäßchirurgen, einen Orthopäden, einen Dermatologen und einen plastischen Chirurgen. Je nach Situation muss ich einen dieser Kollegen hinzuziehen um unter einem gemeinsamen Konzept die Wundheilung einzuleiten. Es ist eben nicht damit getan, dass man Verbandstoffe appliziert. (derStandard.at, 13.6.2008)