Wien - Regisseur Johan Simons' szenische Einrichtung des Joseph-Roth-Romans Hiob in der Textfassung Koen Tachelets hat auch nach ihrem Transfer aus München nach Wien nichts von ihrem betörenden Reiz verloren. Ein ostjüdischer Schulmeister namens Mendel Singer (André Jung) glaubt, durch Textgläubigkeit und Rechtschaffenheit sich bei seinem Gott gegen alle Wechselfälle des Schicksals versichern zu können.

Während die unsichtbare Uhr des Lebens im Theater an der Wien über einem schäbigen Jahrmarktkarussell tickt, ringt Jung mit dem verschwitzten Phlegma eines Regionalbeamten mit der katastrophalen Einrichtung der Welt. Die Kinder drängen voller Unrast aus dem Schtetl; sein Jüngster, der von epileptischen Krämpfen geschüttelte Menuchim (Sylvana Krappatsch), zeigt sich gegenüber seinen Bibelunterweisungen vollends unempfindlich.

Man kann Simons' Festwochen-Gastspiel kaum genug rühmen. Alle Fliehkräfte eines Katastrophenjahrhunderts zerren an Figuren, die, wie die schöne, mannstolle Tochter (Wiebke Puls), wie der vor Lebensgier platzende Sohn Jonas (Steven Scharf), wie geschundene Klepper an unsichtbaren Geschirren ziehen. Mendel, der nach Amerika übersiedelt, erfährt die göttliche Zurückweisung als persönliche Schmach: Vom Turm eines Plastikgartensessels herab verwünscht dieser hölzerne Baudezernent einer aus den Fugen geratenden Welt seinen elementaren Daseinsgrund, seinen Gott.

Mendel, der Frau und Kinder verloren hat, ist ein altes Kind - ein an den Klippen der Bronx gestrandeter Lear. Ehe ihn aber der verschollen geglaubte Menuchim ganz sanft am Kopf berührt, weht ein Flirren und Singen durch das Theater an der Wien: Die Münchner Kammerspiele haben die Verhältnisse zum Schweben gebracht. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.5.2008)