Paris/Wien - Lange hat's gedauert, bis sich aus der spannenden ballesterischen Vorgeschichte herausschälte, was nunmehr offiziell als "Geschichte" gilt. Aber genau genommen war auch die Europameisterschaft 1960 eine Art Vorläufersubstanz zum Heutigen, ein Bewerb in nascendi, wenn man will. Das zeigt schon das keineswegs überwältigende Interesse, daran teilzunehmen.

Nur 17 Nationen gaben ihre Nennung dafür ab. Große wie England, Italien oder Deutschland gaben der UEFA diesbezüglich einen Korb, aber auch die Schweiz, Stammgast im EM-Vorläufer Nationencup, blieb vorderhand im Abseits. Auf den Punkt gebracht hat die Bedeutung dieser ersten "modernen" Fußball-Europameisterschaft Sepp Herberger. Der Coach der Deutschen wollte die Zeit zwischen zwei Weltmeisterschaften nicht mit solchem Firlefanz "verschwenden".

Die verbliebenen 17 Teilnehmer waren eine ungünstige Zahl für den im Cupmodus ausgetragenen Bewerb. Irland und die Tschechoslowakei bestritten deshalb eine Qualifikation fürs Achtelfinale. Nach einem 2:0-Auswärtssieg gab es in Prag ein erwartetes 4:0, für die Tschechoslowaken war das der erste Schritt Richtung Bronzemedaille.

Achtel- und Viertelfinale wurden mit Hin- und Rückspielen ausgetragen, die vier Sieger allein durften ins Turnier, das in Paris und Marseille ausgetragen wurde. Das stand freilich erst fest, als Frankreich sich mit einem 5:2 und einem 4:2 gegen Österreich qualifiziert hatte. Denn damals hatte der Veranstalter noch keineswegs ein Freilos wie heute.

Das hatte der spätere Turniersieger, die Sowjetunion, dafür im Viertelfinale. Es war ja Kalter Krieg. Diktator Franco pfiff Spaniens Team, das schon am Madrider Flughafen war, zurück: keine Reise ins Feindesland. Und weil die Sowjetunion eine Austragung auf neutralem Boden ablehnte, zog sie mit einem strafverifiziertem 6:0 in die Endrunde, wo die Kommunisten sozusagen eindrucksvoll die Herrschaft übernahmen.

Die UdSSR kam mit 3:0 über die CSSR, Jugoslawien mit einem 5:4 gegen den Gastgeber - einzig "westlicher" Teilnehmer - ins Finale.

Das endete nach jugoslawischer Halbzeitführung erst in der Verlängerung mit 2:1 für die Sowjetunion. Nicht nur dieser Sieg verdankte sich zu einem guten Teil jenem Mann, der das gesamte Jahrzehnt prägen sollte: Lew Iwanowitsch Jaschin, seit 1952 Torhüter von Dynamo Moskau, der 1963 als erster und bislang einziger Goalie zu "Europas Fußballer des Jahres" gewählt wurde. Was 2000 mit seiner Wahl zum "Torhüter des Jahrhunderts"noch einmal bestätigt wurde. Schon Benificas Eusébio war ja überzeugt: "Jaschin ist der beste Tormann aller Zeiten und Völker." (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 14. März 2008)

Finale: UdSSR-Jugoslawien 2:1 n.V. Spiel um Platz 3: CSSR-Frankreich 2:0 Achtelfinale: Norwegen - ÖSTERREICH 0:2, 2:5 Viertelfinale: Frankreich - ÖSTERREICH 5:2, 4:2 Die Schweiz nahm nicht teil.