Bild nicht mehr verfügbar.

Flaggen auf Halbmast, sinkender US-Einfluss: Szene am Washington Monument mit Blick auf das Kapitol.

Foto: Reuters/Kevin Lamarque

Bild nicht mehr verfügbar.

Autor Fareed Zakaria.

Foto: AP/Jason DeCrow
„Nicht einmal beim Glücksspiel sind wir noch Weltspitze.“ Der Journalist Fareed Zakaria, in Bombay geboren, in New York zu Hause, beschreibt das Abendrot der Supermacht USA. Und seine These von der postamerikanischen Welt trifft einen empfindlichen Nerv.

Fareed Zakaria kann herrlich amüsant erzählen, wann und wo bei ihm der Groschen fiel. In Singapur, Dongguan und Las Vegas, in dieser Reihenfolge. Drei Städte, in denen ihm dämmerte, dass Amerika nicht mehr uneingeschränkt die Supermacht ist. In Singapur, wo er im Taxi durch die Stadt fuhr, zeigte der Chauffeur voller Stolz auf ein Riesenrad. „Schön, dass Sie jetzt auch Riesenräder haben“, erinnert sich der New Yorker, habe er den Anblick kommentiert. Der Fahrer schaute ihn mitleidig an: „Sir, es ist das höchste der Welt.“ In Dongguan am Perlfluss schlenderte Zakaria durch eine blitzblanke Shopping-Mall, die Quintessenz amerikanischer Einkaufskultur.

Schön, haben die Chinesen also auch das kopiert, dachte er. Beeindruckt von den kilometerlangen Ladenpassagen, klickte er sich bei Google durch und fand schnell heraus, dass es sich bei der „South China Mall“ um den kolossalsten Kauftempel der Erde handelt.

Schließlich Las Vegas: Die meisten Kasinos, spektakulärster Nervenkitzel. Stimmt alles, ist aber relativ, denn Macao hat die Glitzeroase in Nevada in Sachen Umsatz überholt. „Nicht einmal beim Glücksspiel sind wir noch Weltspitze“, scherzt Zakaria.

Um seine Analyse vorzustellen, ist der Professor ins „Politics & Prose“ gekommen, einen Washingtoner Buchladen. „The Post-American World“ heißt sein Buch, ist 292 Seiten lang und voller Anekdoten aus einer sich rasant verändernden Welt. Das „Politics & Prose“ ist nicht einfach ein Laden, sondern eine Institution. Alles, was Rang und Namen hat und zur Feder greift, kommt her, um das Echo zu testen.

„Wir erleben die dritte große Machtverschiebung der modernen Geschichte“, doziert Zakaria. Die erste, im 15. Jahrhundert, ließ im Westen Europas das entstehen, was man heute die westliche Welt nennt. Wissenschaft, Technik, Kommerz und Kapitalismus. Die zweite, beginnend am Ende des 19. Jahrhunderts, führte die Vereinigten Staaten ganz nach oben. Die dritte, die heutige Revolution charakterisiert der Politologe als „the rise of the rest“, den Aufstieg des Rests. Nicht der Niedergang der USA sei das Typische, meint Zakaria. Typisch sei, dass mit China, Indien und Brasilien schlafende Riesen erwachen. Dass Europa wieder schneller wächst, der Energiegigant Russland neues Selbstbewusstsein tankt.

„Militärisch und politisch leben wir noch in einer unipolaren Welt, der Pax Americana.“ Industriell, finanziell und kulturell dagegen bewege sich der Planet im Eiltempo weg von alter US-Dominanz. Die Ironie der Geschichte: Es seien gerade die Amerikaner gewesen, die dem Rest 60 Jahre lang einredeten, man solle Märkte öffnen, Hightech entwickeln, Wandel als Chance begreifen, kurzum, „die Geheimnisses unseres Erfolges erlernen“. „Es hat funktioniert: Die Eingeborenen sind gute Kapitalisten geworden.“

Vielleicht muss man aus Bombay stammen, um die Wende in voller Schärfe erfassen zu können. Mit 18 Jahren kam Fareed Zakaria aus Indien in die USA und wurde schnell zum Wunderkind der amerikanischen Politikwissenschaft. Schon mit 28, nach Studien an den Elite-Universitäten Yale und Harvard, wurde er Chefredakteur von Foreign Affairs. Seit Oktober 2000 leitet er Newsweek International.

Vor 25 Jahren, erzählt Zakaria, habe sich in Bombay fast alles um US-Storys gedreht. War er zu Besuch, musste er pausenlos erzählen vom Leben in der Neuen Welt. Die Inder waren fasziniert, am meisten vom Baulöwen Donald Trump. „Der war ordinär, reich, modern. Er symbolisierte das Gefühl, dass Amerika von allem das Größte zu bieten hat.“ Und heute? Kaum ein Mensch rede mehr von Donald, zumindest nicht in Bombay. Um von protzigen Immobilienhaien zu lesen, bräuchten die Inder nicht mehr in die USA zu blicken. „Es sind vulgäre Geschichten, aber eben auch ihre eigenen Geschichten. Und so wiederholt es sich überall. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.5.2008)