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Ein Suchbild: Was macht den Iran islamisch? Richtig, die Kleidung der Frauen. Und im modernen Nordteheran - im Bild ein junges Paar vor der Kulisse der Stadt - wird bei vielen Frauen das Islamische in der Kleidung zum bloßen Zitat.

Foto: AP/Salemi
Warum sollte man keine Erscheinungen haben, im Dämmerlicht auf der Teheraner Stadtautobahn, auf der Heimfahrt nach einem langen Tag in der schönen Stadt Qazvin? Vielleicht eine Sinnestäuschung, zu viel an den berühmten Qazviner Wein gedacht, den der Reiseführer - aus vorrevolutionären Zeiten, versteht sich - erwähnt? Jedenfalls, der geistliche Führer, institutioneller Nachfolger des Imam Khomeini, lachte mich von einem Riesenplakat am Straßenrand an, lachte herzhaft mit gebleckten Zähnen, wie - so wollte es mir wenigstens scheinen - auf einer Zahnpastawerbung.

Ein schwerer Verstoß gegen die schiitische Ikonografie, die die wirklichen "big shots" unter den Weißbärten immer würdig und ernst zu zeigen hat. Natürlich, ein iranischer Präsident darf auch dann lachen, wenn er ein Mullah ist (wie Khatami), aber ein religiöser Führer? Von einem Plakat an der Autobahn? Wie jeder x-beliebige Politiker? Unmöglich.

Und doch, den lachenden Khamenei gibt es, bestätigte uns später Freund B., nicht in vielen Exemplaren, aber doch. Sie müssen jetzt also um die Iraner und Iranerinnen werben, die Mullahs. Wobei das Plakat (wenn ich mich in der Geschwindigkeit nicht getäuscht habe) ohnehin jene Botschaft enthielt, mit der sie zum ersten Mal seit vielen Jahren, vielleicht seit der Islamischen Revolution 1979, eine Meinungsführerschaft über die Lager hinweg aufbauen konnten: die technologische Entwicklung des Iran. Das neue Jahr, das im Frühjahr begonnen hat, stehe unter dem Motto "Innovation und Entfaltung", verkündet Khamenei vom Plakat.

Das Wissen in den Sternen

Das schließt das Atomprogramm mit ein: Das Verständnis, dass der Iran auf die Urananreicherungstechnologie verzichten sollte, nur weil es dem Westen so gefällt, ist im Iran gleich null. Darauf kann das Regime bauen. Auf dem neuen 50.000-Rial-Schein (weniger als fünf Euro, aber es ist der mit dem höchsten Wert) prangt ein Ausspruch des Propheten Mohammed, in dem er die späteren Iraner als Topwissenschafter anzukündigen scheint: "Selbst wenn das Wissen in den Sternen läge, Menschen aus Persien würden es erreichen." Den Geldschein ziert weiters eine Karte des Iran und das Atomsymbol.

Einmal zur Erkenntnis gelangt, dass es effizientere Mobilisierungsmittel als den Islam gibt, scheint das Regime auf den Geschmack gekommen zu sein. So bekommt auch der iranische Nationalismus - ein Tabu nach 1979 - wieder seinen Raum. "Jetzt brauchen sie uns wieder", knurrt der Nachbar von A., während nationalistische Gesänge aus dem Radio schallen. Diese Lieder gab es lange nicht. Auch Nowruz, das aus dem Vorislam stammende Neujahrsfest, wird gefeiert, was das Zeug hält. Es ist noch nicht lange her, da rümpften die Religiösen öffentlich die Nase über die "heidnischen" Feuerbräuche. Heute hält der Präsident eine Neujahrsansprache, und der religiöse Führer gratuliert dem iranischen Volk.

Tschador als Rarität

Was passiert im Iran, was ist das überhaupt, der Iran, etwa Nordteheran, wo der Tschador langsam zur Rarität wird, wo die Menschen so in ihrem eigenen Iran-Konstrukt leben, dass sie in einer Form der Verleugnung vom "anderen" Iran - in ihrer Stadt nur ein paar Kilometer südlich - gar nichts mehr zu wissen scheinen. Ihr Iran ist modern, vor allem aber ist er nicht religiös. "Wenn du hier nach einer Moschee fragst, bekommst du die Antwort ,Die nächste Toilette ist da drüben', weil sie nicht auf die Idee kommen, du könntest sie zum Beten suchen", sagt N.

Dann würde der letzte Teil des Spruchs "Die Iraner haben früher zu Hause gebetet und außer Haus getrunken, heute trinken sie zu Hause und beten außer Haus" so auch nicht mehr stimmen. Dass es auf dem Schwarzmarkt Wodka und alles andere gibt und dass die Preise vor dem Nowruz-Fest wegen der großen Nachfrage steigen, ist hingegen verbürgt. Aber sagt das etwas aus über "die Iraner" und "die Iranerinnen"?

Eines ist sicher, wenn der Grad des religiösen Fundamentalismus an der Sichtbarkeit der Religion im öffentlichen Raum abzulesen wäre, vertreten etwa durch religiöse Bauwerke, dann wäre Österreich der Gottesstaat, nicht der Iran. Da hat auch das Moscheenbauprogramm der letzten Jahre nicht viel daran geändert. Hier wird man auch nicht, anders als in sunnitischen Ländern, noch im allerletzten Winkel vom Gebetsruf erreicht. Das einzig sichtbar Islamische am Iran sind die Kleidungsstücke der Frauen, auch wenn in Nordteheran das Kopftuch oft nur mehr ein Zitat am Hinterkopf ist.

Aber sind sie deswegen nicht mehr religiös? Wir stehen in einem Hof in einer Moschee in Qazvin, die Menschen beginnen zum Freitagsgebet hereinzuströmen. Ein Vater mit zwei erwachsenen Töchtern, beide völlig in Schwarz gehüllt, kein Haar ist zu sehen. Er spricht uns an, und nach drei Minuten Gespräch bricht es aus ihm heraus, was es für eine "Unannehmlichkeit" für seine armen Töchter sei, so aufgemacht - oder sollte man sagen: so zugemacht - durchs öffentliche Leben gehen zu müssen. Die Zwangsverschleierung sei lästig und dumm, schimpft er. Nach dem kurzen Tratsch, der mit einem gemeinsamen Foto endet (das jedoch eine der Töchter verweigert), marschiert das Grüppchen weiter: zum Gebet.

Das Journalistenparadies

Qazvin ist ein Paradies für Journalisten, man muss sich nur irgendwo hinstellen, schon wird man angesprochen. Eine Gruppe jüngerer Frauen mit einem kleinen Mädchen, das eine groteske synthetische blonde Lockenperücke trägt, redet uns im Museum an, sie sind hocherfreut, eine gibt sich als Schauspielerin zu erkennen. Eine Kleinfamilie kommt vor einer Moschee herbeigeeilt, die Frau ist jedoch von meinen mangelnden Sprachkenntnissen enttäuscht: Warum ich dann überhaupt in den Iran komme? Und dann könne sie mir ja gar nicht sagen, was für ein Nowruz-Geschenk sie gerne von mir haben möchte!

Ihr Mann beeilt sich zu erklären, dass das ein Scherz ist. Aber einen kleinen Einblick in das Selbstverständnis einer alten, die Region weit über die heutigen iranischen Grenzen hinaus dominierenden Kultur gibt das schon.

Wenn ich als Beitrag zum Thema "Farsi als Verkehrssprache" erzähle, dass ich in Bagdad hörte, dass der (kurdische) Präsident des Irak und der (afghanischstämmige) amerikanische Botschafter auf Persisch konversierten, nicken die Iraner wissend mit den Köpfen, ja, genau so hat es seine Ordnung: Derweil einiges in offenbare Unordnung gerät, das nicht nur zumindest das männliche iranische Selbstbild, sondern auch das Bild von außen auf den Iran erschüttern könnte und sollte. Die Situation der Frauen wird als Erstes genannt, wenn der Iran kritisiert wird, und dafür gibt es reichlich Gründe. Feministisch zu argumentieren, abseits des Islam, dafür ist kein Platz hier. Aber der Durchmarsch der Frauen hat auch so begonnen.

L.'s Sohn hat soeben einen der schwer umkämpften Numerus-clausus-Studienplätze für Medizin bekommen, an einer kleinen Universität in der Provinz. Ein Viertel der Jahrgangsanfänger sind Jungen, drei Viertel Mädchen. "Die sind einfach besser", sagt L. Das sei in allen Fächern so, sogar in Religionswissenschaften, lacht er. Nun ist für Medizin die Einführung von fixen Quoten im Gespräch, natürlich nur, beeilt man sich zu sagen, weil man in einer Gesellschaft wie dem Iran eben genügend männliche Ärzte für männliche Patienten brauche. Der Mann als schützenswerte Spezies im Iran, das ist doch irgendwie ein tröstlicher Gedanke. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.5.2008)