Richard Tauber sang es, Luciano Pavarotti, Humphrey Bogart, Caterina Valente, Freddy Quinn und Hans Albers - La Paloma. Die Spice Girls sangen es in der Garderobe, die Mannschaft des SSC Neapel um Diego Maradona nahm es auf, als sie italienischer Fußballmeister wurde, und die Musikkapelle der US Marines spielte es beim Empfang von Papst Johannes Paul II. in Pozzuoli - 'O sole mio. Zwei der berühmtesten und beliebtesten Lieder: Hier die Habanera aus dem Baskenland, die via Mexiko als Walzer populär und als Shanty zum globalen Hit wurde; dort die neapolitanische Kanzone, die in Odessa komponiert wurde und in der Adaption eines amerikanischen Sängers bis in die fernsten Ecken des Globus gelangte.

Die Filmemacherin Sigrid Faltin und Andreas Schäfler, Pressereferent eines Münchner Verlags, haben sich zusammengetan und die buntscheckige Geschichte von La Paloma, des Liedes von der Taube, aufgeschrieben. Klugerweise haben sie sich - bis auf einige wenige Überschneidungen - auf eine gute Arbeitsteilung geeinigt. Faltin erzählt von den Ländern, die sie für ihre TV-Dokumentation aufgesucht hat, von Kuba und Sansibar, von Afghanistan, Mexiko und dem Baskenland. Und von Berlin, wo sie Coco Schumann traf, der als Musiker das KZ Theresienstadt überlebte. "Ich kann mich erinnern", so der 1924 geborene Jazzgitarrist, "wenn die in die Gaskammer gingen. Die SS bestellte sich immer La Paloma. Das mussten wir dann spielen, und die gingen in die Gaskammer, einmal auch Kinder. Die wussten, wo sie hingehen, die Kinder. Die waren schon eine ganze Weile im Lager. Und die wussten, dass sie in die Gaskammer marschierten."

Schäfler, der früher als Musikjournalist tätig war, referiert gut gelaunt die Historie der diversen Einspielungen und Interpretationen dieses Liedes. Dabei kann er sich auf eine von Kalle Laar edierte CD-Kompilation stützen, die Kurioses und Semi-Absurdes vereint: La Paloma als Tango, Twist oder Country, als Marsch, Reggaenummer oder auch swingend mit Marimba, singender Säge und Harmonium, als Protestsong oder schräger Lärm. Oder gesungen von Elvis.

Denn bei ihm kreuzen sich die Geschichten Faltins und Schäflers mit jener, die Paquito Del Bosco, künstlerischer Leiter des Schallarchivs des RAI, für die neapolitanische Kanzone in Neapel präsentiert. Sowohl La Paloma als auch 'O sole mio sang Elvis Presley. Letzteres hieß 1960 in seiner Bearbeitung als Bolerorockstück "It's now or never". "Es ist die am häufigsten gesungene, bei Opernsängern beliebteste, von den verschiedenen Orchestern am meisten gespielte, von Solisten aller Kategorien am häufigsten interpretierte, meistübersetzte und in allen fremden Sprachen meistgesungene Kanzone." Solche diffusen Formulierungen findet man bei Del Bosco zuhauf. Genauso unscharf wie seine Angaben sind Chronologie und Dramaturgie des Buches. Ist der Auftakt über Neapel als Musikstadt noch informativ, wenn auch zu kursorisch, so leiden die folgenden Kapitel an mangelnder Konzentration. Es wird nie richtig deutlich, wie denn der Komponist Eduardo di Capua 1898 mit der Textvorlage des Autors Giovanni Capurro umging, und ob denn der Nebel über die in jüngerer Zeit umstrittene Entstehung - in Odessa oder doch nicht? - zu lüften ist.

In der zweiten Hälfte des uninspirierten Buches geht es dann vollends kreuz und quer durcheinander: erst eine Abhandlung über Enrico Caruso, dann ein Kapitel über Elvis Presley, schließlich verdrießliche Ausführungen voller Überdruss über Recherchen im Internet und ein espritfreier Exkurs über 'O sole mio als im Borges'schen Sinne Aleph der Musik. Ein Finale, in dem die vielen separaten Fäden sich zu einem Ganzen vereinen, fehlt ganz. Das muss auch dem Lektorat des Wagenbach Verlags aufgefallen sein. Wie sonst ist zu erklären, dass temperamentvolle Gedanken des deutschen Komponisten Hans Werner Henze von 1958 über die Kanzonen von Neapel, sprachlich wie intellektuell Del Bosco überlegen, beigebunden sind. Wohl nur, um das Bändchen auf eine produktionsfreundliche Seitenzahl zu bringen. ( Alexander Kluy / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25.5.2008)