Der seit einem knappen Monat amtierenden sozialistischen Minderheitsregierung unter Ferenc Gyurcsány werden in Ungarn immer weniger Chancen eingeräumt, ihr reguläres, bis 2010 reichendes Mandat auszufüllen. Vorgezogene Neuwahlen am Ende dieses oder zu Beginn nächsten Jahres werden zunehmend wahrscheinlich, zumal sich das Verhältnis zum ehemaligen Koalitionspartner, den liberalen Freidemokraten (SZDSZ), deutlich abgekühlt hat. Diese wählen im Juni einen neuen Obmann. Der aussichtsreichste Anwärter auf dieses Amt, der Ex-Umweltminister Gábor Fodor, kündigte bereits an, dass seine Partei dem Budget der sozialistischen Minderheitsregierung die Zustimmungverweigern könnte.

In solchen Zeiten wittert der rechtspopulistische Oppositionsführer Viktor Orbán Morgenluft. Der Politiker, der von 1998 bis 2002 Regierungschef war und bei zwei Wahlen – 2002 und 2006 – scheiterte, legte in den letzten Wochen einen starken, wenn auch diskreten Aktivismus an den Tag. Im Gegensatz zu früher, als Orbán durch machtvolle Demonstrationen seiner aufgepeitschten Anhänger den „Druck der Straße“ gegen gewählte Regierungen mobilisierte, sucht er diesmal das Gespräch mit den Eliten, auch denen der anderen Couleur.

In vertraulichen Zirkeln und Seminaren parliert er mit Geschäftsleuten, Medienmachern und Filmstudenten. Es ist offensichtlich: Der in seinem Erscheinungsbild wandlungsfähige Führer baut an einem neuen Image. Er will raus aus der rechts-rechten Ecke, in die er sich aus Enttäuschung über die ihm von seinem Volk verweigerte Liebe hineingeritten hat, hinein in die politische Mitte, wo für ihn derzeit offenbar am meisten zu holen ist.

Und er „strotzt vor Selbstvertrauen“, vertraute der Teilnehmer eines solchen Seminars neulich dem Internet-Portal „index“ an. Meinungsumfragen attestieren Orbáns Bund Junger Demokraten (Fidesz) derzeit die Zustimmung von knapp zwei Dritteln der Wähler. Inhaltlich mache er Avancen gegenüber der Wirtschaft, wie sie von ihm seit Jahren nicht zu hören waren: Steuerreformen, Bürokratieabbau, Wirtschaftsbelebung – Orbán skizziert eine Agenda, an der Gyurcsány wegen der Visionslosigkeit seiner Sozialistischen Partei (MSZP) und der linkspopulistischen Volksabstimmungs-Obstruktion des Fidesz gescheitert ist.

Staatliche Großinvestitionen würde er stoppen, soll er in einem dieser Zirkel gesagt haben, darunter den im Gang befindlichen Bau der vierten Budapester U-Bahn-Linie, die er bereits als Premier zu verhindern suchte.

Auch sonst darf eher bezweifelt werden, ob Orbán sich im Kern zu ändern vermag. Ähnlich wie andere Populisten treibt ihn im Inneren eine tiefe Verachtung für demokratische Mechanismen und Institutionen. Hinzu kommt ein Drang zur Revanche, ein Bedürfnis, erlittene Schmähungen dem politischen Gegner mehrfach heimzuzahlen. Vor einem anderen Forum, vor einem anderen Publikum – ethnischen Ungarn in der nordserbischen Kleinstadt Senta – gab er neulich unumwunden zu: „Ich habe noch einige Rechnungen offen.“ (Gregor Mayer aus Budapest/ DER STANDARD, Printausgabe, 26.5.2008)