Zuletzt* wurde gezeigt, dass sich für die breiten Massen Arbeitsmoral und Leistungsorientierung verflüchtigen, Privatleben und Freizeit den Beruf als Sinngeber verdrängen. Doch nicht nur einfache Arbeitnehmer mit öden Jobs suchen Selbstverwirklichung, Erfüllung oder Glückserleben in der Freizeit, sogar 39 Prozent der leitenden Angestellten sehen in der Arbeit "keine Herausforderung" mehr.

Für die intrinsisch motivierten unter uns, die wir Arbeit um ihr selbst willen, als Berufung und nicht als Beruf oder bloßen Erwerb tun dürfen, völlig unbegreiflich. Wir können uns, wie Sigmund Freud, ein Leben als erfülltes ohne Arbeit, Liebe und Kunst einfach nicht vorstellen. Keine Künstlerin, Gelehrte oder Freischaffende, die jemals (außer schwerst krankheitsbedingt) aufhörte zu arbeiten. Schon Selbständige und Freiberufler gehen deutlich später in Pension, und bei den Angestellten jene mit interessanten Berufen wie Ärzt/Innen, Anwälte, Architekten, Wissenschafter.

Und doch werden Arbeit und Freizeit zunehmend nicht nur als ergänzende, sondern als konkurrierende Sinnwelten wahrgenommen: Arbeit als verlorene Lebenszeit, die Leben von der Habenseite des Seins abzieht.

Was heißt heute "mehr vom (Arbeits)Leben haben" wollen? Geld scheint wichtiger als Status, höheres Einkommen wichtiger als beruflicher Aufstieg; Karriere kann man ja – im Gegensatz zu Geld – nicht überall hin mitnehmen, ansparen und ausgeben. Doch immer noch wichtig scheinen sinnvolle Arbeitsinhalte (Stolz auf Produktqualität, Professionalität, Ethik, Glaubwürdigkeit, den Betrieb) und Arbeit, die ausreichend Freude macht (Abwechslung, Herausforderung, Erfolgserleben, Arbeitslust, Wohlfühlen im Beruf). Besonders Jüngere wollen nicht nur "über-urchschnittlich viel Geld verdienen", sondern "Arbeit haben, die Spaß macht" und dabei "eigene Vorstellungen verwirklichen".

Geld hingegen, das angeblich alles beherrscht, ist zwar notwendig, aber keineswegs hinreichend oder auch nur entscheidend für Arbeitszufriedenheit. Gehaltserhöhungen etwa verlieren innerhalb weniger Monate rund 40 Prozent an Glückswert. Geld scheint bloß als Spiegelbild des eigenen Markt- und Selbstwerts wichtig, im Vergleich mit anderen, kaum per se. Status wiederum schafft Arbeitszufriedenheit, aber immer weniger Leistungsmotivation; erstaunlicherweise selbst bei Führungskräften mehrheitlich nicht mehr. Dagegen gewinnt Zeit eine immer größere Bedeutung für die Zufriedenheit, allerdings qualitativ, als Zeitkultur (Wahlmöglichkeiten, Spielräume) mehr als quantitativ, etwa als "Geldkultur" der Überstunden.

Die große Zahl "innerer Kündigungen" lässt außerberuflichen Aktivismus boomen: Zweitjobs in der Freizeit, Schwarzarbeit, Pfusch, Ehrenamt, Haus- und Gartenarbeit, Do-it-yourself-Bastelei, Klubleben und Vereinsmeierei, Volkskultur, Sport usw. Traditionelle (Wochen)Ar-beitszeitverkürzung scheint mit dem vermehrten Drang in Teilzeit bald fast ausgereizt: in Zukunft zählt Freiraum mehr als Freizeit, Zeitfreiheit mehr als freie Zeit, Zeitsouveränität mehr als Zeitguthaben, Zeitwohlstand, frei verfügbares Zeitvermögen, Kontrolle über Tempo und Timing. (Bernd Marin/DER STANDARD Print-Ausgabe; 28.05.2008)