Kanadas konservative Regierung sieht sich der schlimmsten Krise ihrer zweijährigen Amtszeit gegenüber. Der 45 Jahre alte Außenminister Maxime Bernier musste wegen seines nachlässigen Umgangs mit geheimen Regierungsdokumenten am Montagabend zurücktreten. Berniers Ex-Freundin Julie Couillard, die einst mit einem Mitglied des Motorrad-Clubs Hells Angels verheiratet war, hatte im April die Dokumente in ihrer Wohnung gefunden und sie vor wenigen Tagen der Regierung zurückgegeben. Das enthüllte sie in einem Fernsehinterview in Quebec.

Regierungschef Stephen Harper erklärte am Montagabend in Ottawa, Bernier habe „einen sehr schweren Fehler“ gemacht, weil er geheime Regierungsdokumente „an einem unsicheren Ort“ aufbewahrt habe.

Der Fernsehsender CTV berichtete, die Dokumente hätten wichtige geheime Informationen über die Kriegsstrategie der Nato in Afghanistan und über Nato-Führungskräfte enthalten. Damit stehe mit dieser Affäre auch der internationale Ruf Kanadas auf dem Spiel.

Liberale wollten Rücktritt

Laut kanadischen Medienberichten bezogen sich die Dokumente auf den Nato-Gipfel in Bukarest im April, auf der Kanada die Verlängerung des Truppeneinsatzes in Afghanistan bekanntgab. Die Beziehung zwischen Couillard und dem Außenminister hatte schon seit mehreren Wochen im Parlament und in den Medien für Aufruhr gesorgt.

Die konservative Minderheitsregierung hatte der liberalen Opposition im Parlament stets die Antwort verweigert, ob Julie Couillard, mit der Bernier seit seinem Amtsantritt im August 2007 öffentlich aufgetreten war, jemals einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurde. Die Liberalen hatten immer wieder Berniers Rücktritt verlangt.

Noch am Montagnachmittag, vor dem Platzen der Affäre, hatte Harper erklärt, er kommentiere die Beziehung von Bernier nicht. Nachdem Couillard die Regierung von Berniers unsachgemäßen Umgang mit den Dokumenten informiert hatte, akzeptierte Harper aber dessen Rücktritt. Handelsminister David Emerson wird vorübergehend dem Außenministerium vorstehen. (Bernadette Calonego aus Vancouver/DER STANDARD, Printausgabe, 28.5.2008)