Brot dieser Qualität braucht vor allem eines - Zeit. Deshalb wurde er nun als erster Österreicher in die Vereinigung der "Slow Baker" aufgenommen, einen Verein, der sich im Zeitalter tiefgekühlter Chemie-Teiglinge und künstlich parfümierter Backshops dem Schutz eines gefährdeten Handwerks verschrieben hat: der Herstellung von Brot nach überlieferten Techniken. Seitdem darf Kasses sich sozusagen offiziell als "langsamster Bäcker des Landes" bezeichnen - ein Titel, der ihm gefällt. "Weil sich die Langsamkeit auf die Teigführung bezieht, auf die Zeit, die man dem Teig gibt, sich aromatisch zu entwickeln".
Tatsächlich ist Zeit das entscheidende Moment, wenn es um die Entstehung erstklassigen Brotes geht: Jene Bakterienkulturen, die Sauerteig (und damit den Wohlgeschmack) erst entstehen lassen, wollen sorgfältig kultiviert und mehrmals täglich gefüttert werden. Idealerweise über mehrere Tage, denn nur so entsteht aus einem geschmacklich eher dumpfen Mehl-Wasser-Gemisch die aromatische Basis für eine der ältesten kulinarischen Kultur-leistungen überhaupt: Brot. Bei Erich Kasses arbeiten die Kulturen in massiven Metallbottichen - für jene Brotsorten, die sich besonders gut verkaufen - oder, für die Spezialsorten, in kleinen Holzfässern, die er selbst gezimmert hat.
Sozial kaum verträgliche Arbeitszeiten
Das tun sich heute immer weniger Bäcker an, weil es, wie auch bei Kasses, dazu führt, dass man, in und außerhalb der Arbeitszeit, alle acht Stunden zu den Sauerteigen muss, um sie mit frischem Wasser und Mehl zu füttern. Zusammen mit den sozial ohnehin kaum verträglichen Arbeitszeiten ist dies ein durchaus triftiger Grund dafür, dass es immer weniger echtes Bäckerbrot gibt.
Jeden Tag (bis auf Sonntag) steht der 52-jährige Kasses pünktlich um drei Uhr früh in der Backstube. Dietmar Eggenberger, seit 25 Jahren in der Firma und laut Kasses dessen "Stellvertreter", ist da bereits seit eineinhalb Stunden bei der Arbeit, gemeinsam mit zwei weiteren Gesellen und fünf Lehrlingen. Langsame Teigführung heißt nämlich nicht, dass es damit auch in der Backstube langsam zugehen darf - im Gegenteil: Ab fünf Uhr fahren die ersten Lieferwagen aus, bis dahin müssen nicht alle, aber doch etliche der Sorten fertiggebacken sein. Kasses, in kurzen Hosen, T-Shirt und Bäckerschürze, hat die Teigarbeit über: Er formt die Brote, speziell die empfindlichen Ciabatte aus dem hoch aufgegangenen, extrem wabbeligen, luftigen und duftigen Weizensauerteig, der vom Olivenöl glänzt. Er formt sämtliche Handsemmeln (um die 300 in 45 Minuten!), weil sie "nun einmal die Visitenkarte jedes Bäckers sind", wie er sagt. Er bestimmt, wie viele Handvoll selbsteingelegte Rumrosinen zum Striezelteig kommen und kontrolliert mittels Duftprobe, ob der Waldstaudensauerteig aus einem im Waldviertel heimischen Urgetreide auch brav arbeitet. Zwischendurch gesellt er sich zu den Lehrlingen, die heute Morgen 2500 Mohnflesserln zu flechten haben. Stellvertreter Eggenberger bedient derweil die fünf Öfen: schiebt hier einen Wagen mit Striezeln in den Heißluftofen, schießt dort Ciabatta rotonda in den sieben Tonnen schweren Steinofen ein.
Nur auf Vorbestellung
Wenn wir schon dabei sind: das Sauerteig-Ciabatta. Es ist jenes Brot, das Kasses' Ruhm wesentlich begründet hat. Dabei hat Ciabatta anderswo einen denkbar schlechten Ruf, darf als halb durchgebackener Teigling, bis oben voll mit Kunsttriebmitteln und Konservierungsstoffen ebenso verkauft werden wie als "dünne Luft mit Kruste" aus dem Backshop-Ofen mit einem Geschmack wie gerösteter Karton. Bei Kasses schmeckt man den Sauerteig und das Roggenmalz, da macht die luftige, saftige Krume auch Tage nach dem Kauf noch Freude. In Thaya selbst verkauft er es freilich bis heute nur auf Vorbestellung, da stehen die Kunden mehr auf seine Semmeln. In Wien, wo es an etlichen feinen Adressen vertrieben wird, da ist es allabendlich mit schöner Regelmäßigkeit ausverkauft.