PRO

Auf die Alteingesessenen, Sesshaften, die sich nicht bewegen, ihren Standort nie verlassen, sich ängstlich an die Scholle klammern, war ich nie versessen. Daher bin ich aufseiten der Flachwurzler, auch wenn allem Flachen etwas Seichtes anhängt: Flachheit, Flachwichser, Flachsen, falsche Flaschen etc., auch wenn ein kleiner Sturm sie umknickt, sind mir Flachwurzler sympathisch, weil sie zwar verwurzelt sind, aber mit sich reden lassen, in die Breite gehen. Fichten und Gummibäume gehören dazu, Hochhäuser und auch manche Menschen. Sie sind nicht tief verwurzelt, lassen sich verpflanzen, erobern unwirkliches Gelände, das entspricht der Zeit, den Migrantenströmen, den inhomogenen Charakteren, den austauschbaren Ideologien. Flachwurzler gehen nicht in der Tiefe Grund, klammern sich nirgendwo fest, bleiben weitverzweigt und an der Oberfläche, und trotzdem sprengen sie die Bürgersteige, Straßen, alles Festgewalzte. Flachwurzler sind haltloser, verlorener, nicht festgelegt.Aber sie erobern auch, probieren etwas aus, verbohren sich nicht und haben Überblick. Daher: Forza Flachwurzler! (Franzobel)

CONTRA

Alles, was schnell und orientierungslos flach vor sich hin wuchert, war mir seit jeher verdächtig, ja nachgerade unheimlich. Das Flachwurzlertum hat den lästigen Drang, sich auszubreiten und alles andere zu überlagern. Das ist eine Zumutung für diejenigen, die in Ruhe wachsenwollen. Keine klaren Konturen erkennbar, die Richtungen beliebig, vor allem aber der Platzbedarf groß. Irgendwie eine aufdringliche Art der Existenz, so man es als Tugend erachtet, andere in Frieden zu lassen. Doch die tausendköpfige Hydra der Flachwurzler dringt überall ein, mischt sich in die Substrate anderer, streut ihre Samen in alle Töpfe. So wie die Ränder alter, langsam gewachsener Städte in Windeseile von grauenerregenden und in jeder Hinsicht flachen Nichtarchitekturen zerfranst werden, so streut das kollektive Flachwurzlertum seinen Ackersenf ungefragt in alle Disziplinen. Esmacht sich schnell und eitel wichtig – und es ist, landauf, landab, erschütternd erfolgreich mit seiner Strategie. (Ute Woltron)