Wenn Netzbetten zum Symbol der Erniedrigung für Patienten werden, dann könne man sie abschaffen, sagt Reinhard Zeyringer, Zeuge bei der Psychiatrie-Kommission.

Foto: Standard/Regine Hendrich
Das Problem sei viel zu lange ignoriert worden.

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Wien – In die Untersuchungskommission zur Psychiatrie kam erstmals Bewegung: Der erste Zeuge, Reinhard Zeyringer, Oberarzt am Otto-Wagner-Spital (OWS), sagte am Donnerstag aus. Dabei dürfte sich die Opposition, die die Kommission wegen Missständen einberufen hatte, bestätigt fühlen. Denn laut Zeyringer gibt es einen Personalmangel am OWS. Er selbst war seit 1998 an drei Studien zum Personalstand beteiligt. Das Ergebnis: Es mangelt an Ärzten und Therapeuten. Die vorerst letzte Studie liegt zwei Jahre zurück.

Dass Ärzte fehlten, war also schon seit zehn Jahren bekannt. Heuer reagierte der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) darauf. Die amtierende Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SP) kündigte an, dass am OWS 18 zusätzliche Ärzte und genauso viele Pfleger angestellt werden. Die Grünen werten das als Reaktion auf die Einsetzung einer U-Kommission: Hätte die Opposition auf die Missstände, Verletzungen und Todesfälle an der Wiener Psychiatrie, die ihrer Meinung nach wegen Personalmangels passierten, nicht aufmerksam gemacht, wäre die Personalaufstockung nicht gekommen, ist Gesundheitssprecherin Sigrid Pilz überzeugt.

Die SP-Fraktion sieht das naturgemäß anders: Dass zusätzliches Personal kommen soll, sei aufgrund der Evaluierung der Studie aus dem Jahr 2006 beschlossen worden, sagt Fraktionssprecher Christian Deutsch. Die Personalaufstockung sei rasch erfolgt.

Im OWS haben laut Zeyringer 2006 insgesamt sechs Ärzte und neun Therapeuten gefehlt. In Wirklichkeit brauche man aber mehr, weil die Psychiatrie-Verordnung mit der Vorgabe von zwölf Minuten an psychiatrischer und therapeutischer Betreuung pro Patient und Tag aus den 80-er Jahren stamme. Nun habe sich "Gott sei Dank erheblich etwas verbessert", so der Arzt. Es bleibe aber der Vorwurf, dass man dafür zehn Jahre gebraucht habe. Die Einwände, dass Experten dem Spital eine gute Personalausstattung attestiert hätten, ließ er nicht gelten.

Zeyringer kam auch auf Netzbetten, die er selbst als "Beschränkungsmaßnahme" verordnet, zu sprechen. Wenn Patienten Netzbetten als Symbol der Erniedrigung ansehen, dann "schaffen wir sie ab", sagt er. Wichtig sei, mit den Patienten nach der Beschränkung darüber zu reden und sie nicht im Unklaren darüber zu lassen, warum sie ins Netzbett gelegt wurden. Der deutsche Experte Tilman Steinert sagte am Donnerstag, dass die Traditionen bei Fixierungen europaweit unterschiedlich seien. Er plädierte für eine "evidenzorientierte Ethik".

"Negative Konsequenzen"

Ganz wohl dürfte sich der Zeyringer dabei nicht gefühlt haben, den eigenen Arbeitgeber zu kritisieren. Denn zu Beginn seiner Aussage thematisierte Zeyringer den Druck, unter dem er als Mitarbeiter des KAV stehe. "Ich möchte hoffen, dass diese Zeugenaussage ohne negative Konsequenzen für meinen beruflichen Weg bleibt", sagte er.

Die Nachfrage von Kommissionsmitglied Gerald Ebinger (FP), wer ihn konkret unter Druck setze, beantwortete er nicht. Zuvor hatte ihn die stellvertretende Vorsitzende Elisabeth Rech darüber informiert, dass er diese Frage nicht beantworten müsse. Aussagende bei der U-Kommission stehen unter Wahrheitspflicht. Das gilt auch für die Politiker, die im Herbst aussagen werden. Unter anderen Michael Häupl, Renate Brauner und Sonja Wehsely. (mil, APA, DER STANDARD - Printausgabe, 30. Mai 2008)