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In neuer Rolle. Nach der EM übernimmt der 59-jährige Ottmar Hitzfeld die Schweizer Nationalmannschaft.

Foto:APA/EPA/STEFFEN SCHMIDT
Am Dienstag ging in Kalkutta mit einem Freundschaftsspiel des FC Bayern vor 120000 Zuschauern die Trainerzeit von Ottmar Hitzfeld (59) bei Bayern München zu Ende. Zuvor hatte die Basler Zeitung die Gelegenheit, den neuen Schweizer Nationaltrainer an der Säbener Strasse zu einem ausführlichen Gespräch zu treffen.

baz: Ottmar Hitzfeld, Sie haben den letzten, sehr tränenreichen Auftritt in der Bundesliga hinter sich. Wie geht es Ihnen jetzt?
Ottmar Hitzfeld: Zum Schluss das Double zu gewinnen, ist ein Geschenk des Himmels. Jetzt aufzuhören, ist die beste Entscheidung, die ich treffen konnte ...

baz: ... was macht Sie da so sicher?
Ottmar Hitzfeld: Es ist die richtige Entscheidung, die Bayern zu verlassen. Ob es auch die richtige war, in die Schweiz zu gehen, wird man in zwei Jahren wissen. Der Alltagsstress hierwar zu gross; eswaren zuerst vier Monate vorgesehen, jetzt wurden es 17. Aber ich kann Jürgen Klinsmann eine intakte, erfolgreiche Mannschaft übergeben.

baz: Welcher Hitzfeld ging vor 17 Jahren aus der Schweiz in die Bundesliga, welcher kehrt nun zurück?
Ottmar Hitzfeld: Damals war ich ein junger Trainer, der nicht wusste, ob er es in der Bundesliga schafft. Borussia Dortmund war ein Schleudersitz, zu jener Zeit mit mehr Trainern als Bundesligajahren. Daraus wurden sechs Jahre als Trainer und eines als Sportdirektor beim BVB und siebeneinhalb bei den Bayern. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich bin ja eigentlich ein vorsichtiger Mensch und habe bei meinen Entscheidungen dennoch immer wieder viel riskiert.

baz: Nach den ersten sechs Jahren bei den Bayern legten Sie eine Auszeit von zweieinhalb Jahren ein. War das ein lohnender Schritt?
Ottmar Hitzfeld: Auf jeden Fall. Ich war ausgelaugt, und es erwies sich dann als eine der schönsten Zeiten meines Lebens; ich hatte keine Entzugserscheinungen, ich lernte loszulassen,was ich vorher nicht konnte. Ich würde jedem, der es sich finanziell leisten kann, empfehlen, eine solche Auszeit zu nehmen, mindestens ein Jahr. Zurück bei den Bayern hatte ich eine gewisse Altersweisheit, konnte ich mich mit Abstand selbst beobachten.

baz: Sie wirkten in Ihrer zweiten Zeit bei den Bayern auch klarer, direkter in Ihren Äusserungen.
Ottmar Hitzfeld: Das habe ich auch bei meiner Arbeit beim Fernsehen gelernt. Früher stellte ich mich mehr vor die Mannschaft und wollte Spieler in der Öffentlichkeit nicht kritisieren. Heute sieht jeder im Fernsehen alles und kann sich selbst ein Urteil bilden. Da muss man dann auch als Trainer mit Klarheit sprechen. Die heutige Spielergeneration ist aber auch viel kritikfähiger als jene noch vor zehn Jahren. Heute stehen selbst junge Spieler hin und geben druckreife Antworten auch auf kritische Fragen.

baz: Welches waren auf Ihrem Weg in der Bundesliga die wichtigsten Figuren?
Ottmar Hitzfeld: Mein Glücksfall war Stéphane Chapuisat, den ich gleich bei meinem Amtsantritt von Uerdingen nach Dortmund holte. Das war ein Risiko, aber es wurde zum wichtigsten Transfer meiner Karriere. Wäre er nicht gelungen, hätte das meinen Kopf gekostet. Chapuisat wurde zum Symbol des Dortmunder Aufstiegs.

baz: Und bei den Bayern?
Ottmar Hitzfeld: Sicher Oliver Kahn als Captain, aber auch Stefan Effenberg. Auch der war ein Risikotransfer. Der Verein war sich nicht sicher, ob er Effenberg holen solle. Und dann waren wir beim Golfen, als mich Franz Beckenbauer bei Loch sieben fragte: Ottmar, willst Du Effe? Ich antwortete: Ja. Und Franz wandte sich zu Uli Hoeness und sagte: Ruf Effenberg an. Der tats, Frau Martina war am Telefon, und die Sache klappte. Ich habe danach sehr gelöst weiter gespielt.

baz: Was waren die grössten Enttäuschungen in all den Bundesligajahren?
Ottmar Hitzfeld: Ich bin ein Mensch, der sehr schnell vergibt – sonst kann man in diesem Geschäft nicht überleben. Wenn man alles glauben würde, was in den Zeitungen steht ...

baz: Aber in der Dortmunder Endphase war das Verhältnis zu Präsident Wolfgang Niebaum ja wohl schon gestört?
Ottmar Hitzfeld: Ich würde sagen, es war verhalten ...

baz: Und jenes mit Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, als er Sie im vergangenen Herbst nach dem 2:2 gegen Bolton angriff und in Anspielung auf Ihre Ausbildung zum Mathematiklehrer sagte, Fussball sei eben keine Mathematik?
Ottmar Hitzfeld: Das habe ich ihm verziehen, er hat sich bei mir ja auch entschuldigt. Aber klar, es war sicher mit ausschlaggebend, dass ich mir meine Zukunft bei den Bayern überlegte ...

baz: War es nicht insgeheim immer ein verlockender Gedanke, mal als Nationalcoach in die Schweiz zurückzukehren?
Ottmar Hitzfeld: Das war es, denn in der Schweiz ist die Nationalmannschaft etwas Besonderes. Schon als Spieler spürte ich das; der Rückhalt für die Nationalmannschaft war in der Schweiz schon damals grösser als sogar in Deutschland.

baz: Tatsächlich?
Ottmar Hitzfeld: Ja, die Schweizer sind patriotischer.

baz: Als die Aufgabe als Schweizer Nationaltrainer – neben den Bayern und einer Fernsehrolle bei Premiere – zur Diskussion stand, gab es da jemand, der Ihnen abriet von der Schweiz?
Ottmar Hitzfeld: Uli Hoeneß schon. Er sagte: Du hast immer um Titel gespielt, in der Schweiz aber kannst du nicht viel gewinnen.

baz: In der Schweiz allerdings sind Ihnen so ziemlich alle um den Hals gefallen...
Ottmar Hitzfeld: Das war schon fast peinlich. Die Erwartungshaltung ist so hoch, dass man sie kaum erfüllen kann. Es wurde gar vom Messias geschrieben. Da bin ich erschrocken, das war auch respektlos Köbi Kuhn gegenüber. Das sind Dinge, die mein Engagement fast noch verhindert hätten.

baz: In der Schweiz wird schon die Qualifikation für die WM 2010 schwierig genug sein.
Ottmar Hitzfeld: Eine Qualifikation ist nie ein Selbstläufer, schliesslich ist zuletzt auch eine grosse Mannschaft wie England gescheitert. Aber sie ist mein Ziel. Ich werde nicht alles umkrempeln, deshalb halte ich auch an Michel Pont als Assistent fest.

baz: Wo werden Sie künftig wohnen?
Ottmar Hitzfeld: Mein Wohnsitz wird Lörrach sein, zwischen dort und meinem Ferienhaus in Engelberg werde ich pendeln.

baz: Bedauern Sie im Nachhinein, irgendwann mal etwas nicht getan zu haben? Ottmar Hitzfeld: Nein, ich bin ein Mensch, der dazu steht,wenn er mal einen Entscheid getroffen hat. Ich wollte ja schon 2001 bei den Bayern aufhören, ich war nach dem Champions- League-Sieg müde. Aber dann sagte mir Hoeneß auf einem Flug nach New York, das komme überhaupt nicht in Frage. 2003 war ich auch so ausgelaugt, dass ich mich nicht mal mehr über das Double freuen konnte. Da wäre wohl besser gewesen, schon aufzuhören. Dass ich es dann ein Jahr später tat, war eine Erlösung. Der Alltagsstress wird in der Schweiz nicht mehr so hoch sein wie in München. Aber ich nehme an, dass ich als Nationaltrainer noch mehr Druck verspüren werde, weil ich gewinnen will.

Und die Wahrscheinlichkeit, mit dem FC Bayern ein Spiel zu gewinnen ist höher, als mit der Schweiz etwa gegen England oder Italien. Aber ich habe nicht mehr 60, sondern etwa 15 Pflichtspiele im Jahr – das ist der Unterschied. Ich werde mehr Power, mehr Kraft haben für ein einzelnes Spiel. Und ein anderes Leben, was ich mir ja auch wünsche.

baz: Noch ohne Sie wird die Schweiz nun die Heim-EM bestreiten. Was ist für Köbi Kuhn und seine Mannschaft realistisch?
Ottmar Hitzfeld: Ich sage es mal so: Übersteht die Schweiz die Gruppenphase, ist das eine großartige Leistung. Denn sie ist in ihrer Gruppe ja nicht der Favorit. Zumindest die ersten zwei Spiele werde ich mir auch anschauen.

baz: Was erwarten Sie insgesamt von der Euro?
Ottmar Hitzfeld: Sobald sie beginnt,werden Österreich und die Schweiz im Mittelpunkt des sportlichen Geschehens in Europa und der ganzen Welt stehen. Die Bevölkerung wird mitfiebern, und ich hoffe auf den Wettergott, damit das Public Viewing funktioniert. Und dann hängt viel vom Abschneiden der beiden Nationalmannschaften ab.

baz: Die brauchen wahrscheinlich eher einen Fußballgott. Ottmar Hitzfeld: Den braucht jede Mannschaft. Ohne Glück, ohne Schlachtenglück kann man nicht erfolgreich sein. (CHRISTOPH KIESLICH, München*)