baz: Ottmar Hitzfeld, Sie haben den letzten, sehr tränenreichen
Auftritt in der Bundesliga hinter sich.
Wie geht es Ihnen jetzt?
Ottmar Hitzfeld: Zum Schluss das Double zu
gewinnen, ist ein Geschenk des Himmels. Jetzt
aufzuhören, ist die beste Entscheidung, die ich
treffen konnte ...
baz: ... was macht Sie da so sicher?
Ottmar Hitzfeld: Es ist die richtige Entscheidung, die Bayern zu
verlassen. Ob es auch die richtige war, in die
Schweiz zu gehen, wird man in zwei Jahren wissen.
Der Alltagsstress hierwar zu gross; eswaren
zuerst vier Monate vorgesehen, jetzt wurden es
17. Aber ich kann Jürgen Klinsmann eine intakte,
erfolgreiche Mannschaft übergeben.
baz: Welcher Hitzfeld ging vor 17 Jahren aus der Schweiz
in die Bundesliga, welcher kehrt nun zurück?
Ottmar Hitzfeld: Damals war ich ein junger Trainer, der nicht
wusste, ob er es in der Bundesliga schafft. Borussia
Dortmund war ein Schleudersitz, zu jener
Zeit mit mehr Trainern als Bundesligajahren. Daraus
wurden sechs Jahre als Trainer und eines als
Sportdirektor beim BVB und siebeneinhalb bei
den Bayern. Das hätte ich mir nicht träumen lassen.
Ich bin ja eigentlich ein vorsichtiger Mensch
und habe bei meinen Entscheidungen dennoch
immer wieder viel riskiert.
baz: Nach den ersten sechs Jahren bei den Bayern legten
Sie eine Auszeit von zweieinhalb Jahren ein. War
das ein lohnender Schritt?
Ottmar Hitzfeld: Auf jeden Fall. Ich war ausgelaugt, und es erwies
sich dann als eine der schönsten Zeiten meines
Lebens; ich hatte keine Entzugserscheinungen,
ich lernte loszulassen,was ich vorher nicht konnte.
Ich würde jedem, der es sich finanziell leisten
kann, empfehlen, eine solche Auszeit zu nehmen,
mindestens ein Jahr. Zurück bei den Bayern
hatte ich eine gewisse Altersweisheit, konnte
ich mich mit Abstand selbst beobachten.
baz: Sie wirkten in Ihrer zweiten Zeit bei den Bayern auch
klarer, direkter in Ihren Äusserungen.
Ottmar Hitzfeld: Das habe ich auch bei meiner Arbeit beim Fernsehen
gelernt. Früher stellte ich mich mehr vor
die Mannschaft und wollte Spieler in der Öffentlichkeit
nicht kritisieren. Heute sieht jeder im
Fernsehen alles und kann sich selbst ein Urteil
bilden. Da muss man dann auch als Trainer mit
Klarheit sprechen. Die heutige Spielergeneration
ist aber auch viel kritikfähiger als jene noch vor
zehn Jahren. Heute stehen selbst junge Spieler
hin und geben druckreife Antworten auch auf
kritische Fragen.
baz: Welches waren auf Ihrem Weg in der Bundesliga die
wichtigsten Figuren?
Ottmar Hitzfeld: Mein Glücksfall war Stéphane Chapuisat, den
ich gleich bei meinem Amtsantritt von Uerdingen
nach Dortmund holte. Das war ein Risiko,
aber es wurde zum wichtigsten Transfer meiner
Karriere. Wäre er nicht gelungen, hätte das meinen
Kopf gekostet. Chapuisat wurde zum Symbol
des Dortmunder Aufstiegs.
baz: Und bei den Bayern?
Ottmar Hitzfeld: Sicher Oliver Kahn als Captain, aber auch Stefan
Effenberg. Auch der war ein Risikotransfer. Der
Verein war sich nicht sicher, ob er Effenberg holen
solle. Und dann waren wir beim Golfen, als
mich Franz Beckenbauer bei Loch sieben fragte:
Ottmar, willst Du Effe? Ich antwortete: Ja. Und
Franz wandte sich zu Uli Hoeness und sagte: Ruf
Effenberg an. Der tats, Frau Martina war am Telefon,
und die Sache klappte. Ich habe danach
sehr gelöst weiter gespielt.
baz: Was waren die grössten Enttäuschungen in all den
Bundesligajahren?
Ottmar Hitzfeld: Ich bin ein Mensch, der sehr schnell vergibt –
sonst kann man in diesem Geschäft nicht überleben.
Wenn man alles glauben würde, was in den
Zeitungen steht ...
baz: Aber in der Dortmunder Endphase war das Verhältnis
zu Präsident Wolfgang Niebaum ja wohl schon
gestört?
Ottmar Hitzfeld: Ich würde sagen, es war verhalten ...
baz: Und jenes mit Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge,
als er Sie im vergangenen Herbst nach dem
2:2 gegen Bolton angriff und in Anspielung auf Ihre
Ausbildung zum Mathematiklehrer sagte, Fussball
sei eben keine Mathematik?
Ottmar Hitzfeld: Das habe ich ihm verziehen, er hat sich bei mir
ja auch entschuldigt. Aber klar, es war sicher
mit ausschlaggebend, dass ich mir meine Zukunft
bei den Bayern überlegte ...
baz: War es nicht insgeheim immer ein verlockender
Gedanke, mal als Nationalcoach in die Schweiz
zurückzukehren?
Ottmar Hitzfeld: Das war es, denn in der Schweiz ist die Nationalmannschaft
etwas Besonderes. Schon als
Spieler spürte ich das; der Rückhalt für die
Nationalmannschaft war in der Schweiz schon
damals grösser als sogar in Deutschland.
baz: Tatsächlich?
Ottmar Hitzfeld: Ja, die Schweizer sind patriotischer.
baz: Als die Aufgabe als Schweizer Nationaltrainer –
neben den Bayern und einer Fernsehrolle bei Premiere
– zur Diskussion stand, gab es da jemand, der
Ihnen abriet von der Schweiz?
Ottmar Hitzfeld: Uli Hoeneß schon. Er sagte: Du hast immer um
Titel gespielt, in der Schweiz aber kannst du
nicht viel gewinnen.
baz: In der Schweiz allerdings sind Ihnen so ziemlich alle
um den Hals gefallen...
Ottmar Hitzfeld: Das war schon fast peinlich. Die Erwartungshaltung
ist so hoch, dass man sie kaum erfüllen
kann. Es wurde gar vom Messias geschrieben. Da
bin ich erschrocken, das war auch respektlos
Köbi Kuhn gegenüber. Das sind Dinge, die mein
Engagement fast noch verhindert hätten.
baz: In der Schweiz wird schon die Qualifikation für
die WM 2010 schwierig genug sein.
Ottmar Hitzfeld: Eine Qualifikation ist nie ein Selbstläufer,
schliesslich ist zuletzt auch eine grosse Mannschaft
wie England gescheitert. Aber sie ist mein
Ziel. Ich werde nicht alles umkrempeln, deshalb
halte ich auch an Michel Pont als Assistent fest.
baz: Wo werden Sie künftig wohnen?
Ottmar Hitzfeld: Mein Wohnsitz wird Lörrach sein, zwischen dort
und meinem Ferienhaus in Engelberg werde ich
pendeln.
Und die Wahrscheinlichkeit, mit dem FC Bayern ein Spiel zu gewinnen ist höher, als mit der Schweiz etwa gegen England oder Italien. Aber ich habe nicht mehr 60, sondern etwa 15 Pflichtspiele im Jahr – das ist der Unterschied. Ich werde mehr Power, mehr Kraft haben für ein einzelnes Spiel. Und ein anderes Leben, was ich mir ja auch wünsche.
baz: Noch ohne Sie wird die Schweiz nun die Heim-EM
bestreiten. Was ist für Köbi Kuhn und seine Mannschaft
realistisch?
Ottmar Hitzfeld: Ich sage es mal so: Übersteht die Schweiz die
Gruppenphase, ist das eine großartige Leistung.
Denn sie ist in ihrer Gruppe ja nicht der Favorit.
Zumindest die ersten zwei Spiele werde ich mir
auch anschauen.
baz: Was erwarten Sie insgesamt von der Euro?
Ottmar Hitzfeld: Sobald sie beginnt,werden Österreich und
die Schweiz im Mittelpunkt des sportlichen
Geschehens in Europa und
der ganzen Welt stehen. Die Bevölkerung
wird mitfiebern, und ich
hoffe auf den Wettergott, damit
das Public Viewing funktioniert.
Und dann hängt viel vom Abschneiden
der beiden Nationalmannschaften
ab.