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NGO-Demo in Brüssel: Hält die Tendenz an, bleibt die EU bis 2010 um 75 Milliarden unter den Zusagen.

Foto: EPA/Hoslet
Entwicklungshilfe ohne imperiale Hintergedanken ist einer der größten Trümpfe der „weichen Macht“ EU. Umfang und Art dieser Politik sind aber umstrittener denn je.

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„Vor 2000 gab es keine gemeinsame Entwicklungspolitik der EU. Vielleicht wird es sie auch in Zukunft nicht mehr geben. Vielleicht gibt es stattdessen nur noch Migrations- und Sicherheitspolitik.“ Ein mit Entwicklung beauftragter hoher Beamter der EU-Kommission lässt seinem Frust freien Lauf. Dabei sieht es auf dem Papier gar nicht so schlecht aus. 60 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe kommen von der Europäischen Union, Mitgliedstaaten und Kommission zusammen genommen. 46 Milliarden Euro waren es 2007.

Als vielbeschworene „weiche Macht“ verbindet die EU mit ihrer Entwicklungshilfe keine imperialen Hintergedanken. Die gemeinsame Strategie, 2005 im sogenannten Europäischen Konsens beschlossen, ist es, gemäß den UN-Millenniumszielen 2015 die Lebensverhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern nachhaltig zu verbessern. Transparenz bei der Verwendung der Mittel und gute Regierungsführung sind Hauptbedingungen.

Hier setzt auch die Kritik an. Die EU konzentriere ihre Hilfe zu sehr auf die Regierungen, auf Direktzahlungen in die Budgets der Empfängerländer, meint etwa Melis Alguadis von Concord, dem europäischen NGO-Dachverband für Hilfe und Entwicklung. Man müsse auch andere Institutionen einbinden, etwa die Parlamente, um die Kontrolle zu verstärken und Demokratie zu fördern. „Wenn die EU die weltweite Führerschaft in der Entwicklungshilfe innehat, muss sie die auch aktiv wahrnehmen und die Politik der anderen Geberländer stärker beeinflussen.“

Damit spielt Alguadis indirekt auf Länder wie die USA oder China an, deren Entwicklungshilfe teilweise oder ganz einer geopolitischen Strategie dient. China will in Afrika seinen wachsenden Rohstoffhunger stillen und pumpt dazu Milliarden in Entwicklungsprojekte, die diesen Namen nur selten verdienen. Ein Fußballstadion etwa, ausschließlich mit chinesischem Material und chinesischen Arbeitern errichtet, ist kaum ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Die Menschenrechte spielen für die großzügigen Spender aus Peking ohnedies keine Rolle.

Obwohl es solcherart kein Konkurrent sein kann, zwingt China die Europäer zum Überdenken ihrer Entwicklungspolitik. „China könnte der Katalysator für eine effizientere EU-Entwicklungspolitik sein“, sagt der Ire Gay Mitchell, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses im Europaparlament. Soll dabei die Rolle der Nichtregierungsorganisationen gegenüber den Regierungen gestärkt werden? Notwendig sei „ein bisschen von beidem“. Auch NGOs hätten die Weisheit nicht gepachtet, staatliche Institutionen seien unentbehrlich, etwa bei der Aufteilung von Grund und Boden, sagt Mitchell und verweist auf historische Erfahrungen in seiner Heimat.

Größere Effizienz beim Einsatz der Mittel scheint jedenfalls die Hauptvoraussetzung für eine klarere Zielrichtung der EU-Entwicklungspolitik. Denn diese genügt dem eigenen Anspruch trotz der nach außen bekundeten Gemeinsamkeit kaum. „Wir müssen weniger individuell auftreten“, sagte der Generaldirektor für Entwicklungshilfe in der EU-Kommission, Stefano Manservisi, nach der jüngsten Ministerratstagung in Brüssel. Dabei bekräftigten die Minister das Festhalten an den Millenniumszielen, wonach die EU im Jahr 2010 0,56 Prozent und im Jahr 2015 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe ausgeben will.

Vor dem Ratsgebäude erinnerten NGOs an die Realität: Von 2006 auf 2007 sind die Entwicklunshilfeausgaben der EU-Länder im Schnitt von 0,4 auf 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken. Setze sich diese Tendenz fort, werde die EU bis 2010 um rund 75 Milliarden Euro unter ihren Zusagen bleiben.

Dass Entwicklungspolitik nicht vom Migrationsproblem zu trennen ist, und was hierbei an Nachhaltigkeit erreicht werden kann, zeigt indes ein EU-Projekt mit Marokko: Die dortige Nationale Agentur für Beschäftigung und Ausbildung hat seit 2001 mit EU-Hilfe mehr als 22.000 Arbeitsmigranten legal nach Europa, meist nach Spanien vermittelt. Die meisten haben befristete Arbeitsverträge. Und: 95 Prozent von ihnen sind Frauen aus ländlichen Gebieten. Sie kehren nach dem Saisoneinsatz in ihre Dörfer zurück, wie eine Mitarbeiterin des Projekts berichtet: mit europäischen Erfahrungen, oft auch in westlicher Kleidung – und mit Geld, das viele von ihnen in Kleinstunternehmen investieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.6.2008)