Ankara - Nach dem Kopftuch-Urteil des türkischen
Verfassungsgerichts rechnet der Türkei-Experte Gerald Knaus mit einem
Verbot der islamischen Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die
Chancen für ein Verbot der AKP seien durch das Urteil vom Donnerstag
"enorm gestiegen", sagte Knaus am Freitag im Ö1-Morgenjournal des
ORF. Er sprach von einer Eskalation zwischen dem laizistischen und
dem islamischen Lager in der Türkei, deren Demokratie möglicherweise
noch im Sommer "auf eine große Krise" zusteuere.
Die AKP-Mehrheit im türkischen Parlament hatte die Aufhebung des
bisher geltenden Kopftuch-Verbots an den Universitäten beschlossen.
Am Donnerstag urteilten jedoch die Verfassungsrichter, dass das
Parlament keine Kompetenz in dieser Frage habe. Gegen die Partei von
Ministerpräsident Erdogan läuft vor dem Verfassungsgerichtshof in
Ankara auch ein Verbotsverfahren, weil sie gegen die strikte Trennung
von Religion und Staat in dem islamischen Land verstoßen haben soll.
Das Verbotsverfahren war unter anderem von der EU scharf kritisiert
worden.
Chancen für Verbot der AKP gestiegen
"Dieses Urteil (gegen die Aufhebung des Kopftuch-Verbots, Anm.)
macht das Verbot sehr viel wahrscheinlicher", sagte Knaus. Die AKP zu
verbieten sei aber "demokratiepolitisch absolut unmöglich", weil die
Richter damit in weiten Landesteilen praktisch jede Stimme für
ungültig erklären würden. Im Südosten und Osten der Türkei hätten die
Bürger nämlich fast ausschließlich für die AKP gestimmt. Selbst
Menschen, die der AKP skeptisch gegenüber stünden, würden in diesem
Zusammenhang von einem "Putsch der Justiz" sprechen. Der Direktor der
Berliner Forschungseinrichtung "European Stability Initiative"
befürchtet, dass viele AKP-Anhänger im Fall eines Parteiverbots
versuchen würden, ihre Interessen jenseits demokratischer
Institutionen zu artikulieren. (APA)