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Umstrittener Schwenk bei gerichtlicher Ehe-Annullierung: Rachida Dati.

Foto: REUTERS/Philippe Wojazer
Sekundenlang verliert sich ihr Blick ins Uferlose, Traurigkeit füllt ihre großen schwarzen Augen. Dann reißt sich Rachida Dati zusammen und tritt beherzt ins Parlamentsrund, das viele Abgeordnete mit einem Boxring verwechseln. Ihre angenehme Samtstimme nimmt einen harten, ja beißenden Ton an: Wenn sich Frankreichs Justizministerin in Schwarz gegen 500 aufsässige Parlamentarier behaupten muss, duldet sie keine Widerrede. Diese Woche brandete dem 42-jährigen Shootingstar in der Nationalversammlung aber lautes Protestgeschrei entgegen. Es ging um das Urteil eines nordfranzösischen Gerichts, das eine Ehe annulliert hatte. Die Braut hatte ihren muslimischen Verlobten bis zur Hochzeitsnacht angelogen: Sie war offensichtlich nicht mehr Jungfrau, da ihr Mann auf dem Bettlaken kein Blut fand.

Nach einer Umfrage vom Freitag halten 73 Prozent der Franzosen das Urteil für skandalös, weil es _der intimen Jungfräulichkeit heute noch einen offiziellen Status mit Rechtswirkung einräume. Dati allerdings hatte den Richterspruch zuerst verteidigt. Sie meinte, er sei wohl auch besser für die Braut. Dass sie allein auf weiter Flur eine solche Position einnahm, kommt nicht von ungefähr. Die Immigrantentochter Rachida ließ als junge Frau die eigene Ehe, die ihre Eltern über ihren Kopf hinweg arrangiert hatten, für ungültig erklären.

Auch Staatschef Nicolas Sarkozy stellte das Gerichtsurteil aber öffentlich infrage. Damit war klar: Dati musste eine Kehrtwende vollziehen – und verkünden, dass der Staatsanwalt Berufung einlege. Also gegen das Urteil, das sie noch zwei Tage zuvor verteidigt hatte!

Seither steht die desavouierte Ministerin unter Dauerbeschuss. Das „Dati-Bashing“ (so der Figaro) beendet für die schöne Französin auf abrupte Weise ein erstes Amtsjahr, in dem sie der unangefochtene Star der Regierung war. Stets in eleganteste Dior-Kostüme gewandet, verkörperte die Aufsteigerin aus der Banlieue das „neue Gesicht Frankreichs“, das Sarkozy versprochen hatte. „Rachida“ wurde nicht nur das Liebkind des Präsidenten – den sie noch heute seltsam unterwürfig siezt –, sondern auch eine dicke Freundin seiner damaligen Gattin Cécilia.

Als der Präsident sie Anfang des Jahres verließ, verlor Dati eine wichtige Unterstützung im Elysée. In ihrem Kabinett kündigten nach und nach neun Berater. Sie hätten das „herrische“ Wesen der Ministerin nicht mehr ertragen, sagten sie. Dati, die unter ihrem autoritären Vater gelitten hatte, sieht das anders: „Einzelne Leute haben sehr lange gebraucht, bis ihnen vor mir das ‚Madame la ministre‘ über die Lippen kam“, meint die harte Arbeiterin, die sich von Beginn an bewusst war, dass sie als Arabischstämmige (Mutter Algerierin, Vater Marokkaner) in den Pariser Prunkpalästen einen schweren Stand haben würde.

Dati wird auch vorgeworfen, sie interessiere sich weniger für ihr Amt als für ihre Auftritte auf der Titelseite von Paris-Match. Das ließe sich auch von anderen Ministern sagen; der gesellschaftliche Parvenu Sarkozy frönt der mondänen Glitzerwelt in Paris ebenso.

Zumindest ungeschickt war, dass die Justizministerin ihren Pressedienst verdoppelte; denn gleichzeitig verpasste sie den kleinen Landgerichten einen rigorosen Sparplan, der im Justizapparat auf große Widerstände stößt. Heute ist Dati bei den Medien und Politikern in Ungnade gefallen. Nur eine Le Monde-Journalistin berichtete diese Woche mitfühlend über Datis „Ängste, Ungenügen, Einsamkeit“ – und ihre heimlichen Tränen. Dasselbe Blatt spekulierte am Wochenende aber auch schon darüber, ob die Justizchefin die nächste Regierungsumbildung überleben werde. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 9.6.2008)