Brüssel - Eine eigene EU-Kartellbehörde könnte die Konsequenz aus dem Streit um das Energiepaket sein. Entsprechende Überlegungen wurden in mehreren Delegationen nach der Einigung bestätigt.

Grund für die Verärgerung einiger Mitgliedstaaten ist das Vorgehen der EU-Kommission: Sie hatte den deutschen Energiekonzernen Eon und RWE angeboten, auf ein kartellrechtliches Strafverfahren zu verzichten, falls sich die Unternehmen "freiwillig" verpflichten würden, Teile ihrer Strom- bzw. Gasleitungsnetze zu verkaufen.

Besonders peinlich war dies für den deutschen Wirtschaftsminister Michael Glos: Während er auf politischer Ebene gegen die Zerschlagung der Konzerne eintrat, verkauften diese ihre Netze.

"rechtsstaatlich bedenklich"

Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein bezeichnete das Vorgehen der Kommission als "rechtsstaatlich bedenklich". Diese "dirty deals" würden zeigen, dass hier Kompetenzen aus der Legislative (Initiativrecht in der Gesetzgebung) und Exekutive ("Hüterin der Verträge") vermischt würden. Darüber werde noch zu sprechen sein. Ob eine von der Kommission unabhängige EU-Kartellbehörde die richtige Antwort sei, könne noch nicht gesagt werden.

Ähnliche Stimmen waren aus deutschen und französischen Delegationskreisen zu hören. "Die Kommission hat sich überhoben. Das Ganze war eine gezielte Provokation Deutschlands und wird Folgen haben", hieß es in Berliner Diplomatenkreisen in Brüssel.

Vor allem die zeitlichen "Zufälligkeiten" haben bei den Deutschen für Verärgerung gesorgt: Der Deal der Kommission mit Eon wurde wenige Tage vor dem heurigen EU-Gipfel im März bekanntgegeben. Eines der Gipfelthemen war das Energiepaket. Und die aktuelle Vereinbarung mit RWE drang eine Woche vor dem entscheidenden Treffen der Energieminister am vergangenen Freitag an die Öffentlichkeit.

"Bemerkenswert" scheint Beobachtern in Brüssel auch, dass Kommissionspräsident José Manuel Barroso knapp ein Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit noch so eine harte Auseinandersetzung mit Deutschland und Frankreich wagt. Zwar steht das EU-Parlament in der Energiefrage mehrheitlich hinter ihm, doch seine Wiederwahl gegen die Stimmen Deutschlands und Frankreichs gilt als eher unmöglich. (Michael Moravec, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2008)