Heinrich Karasek, Vorstandsvorsitzender des Zertifikate Forum Austria

Foto: Zertifikate Forum
derStandard.at: Der Zertifikatemarkt hat sich weltweit in den letzten 20, 30 Jahren zu einem interessanten Investmentbereich entwickelt. Wie sehen Sie den österreichischen Markt?

Heinrich Karasek: Unsere Erfahrungen sind unterlegt mit den Marktstatistiken, die wir vom Zertifikate Forum erheben lassen. Dadurch kann der österreichische Markt für Zertifikate auf ca. zwölf Milliarden Euro quantifiziert werden. Das sind allerdings nur jene Produkte, die z.B. aus Vorsorgegründen beim Privatanleger landen. Die institutionelle Veranlagung wird dabei nicht berücksichtigt.

derStandard.at: Wie hat der österreichische Zertifikatemarkt auf die globalen Turbulenzen an den Kapital- und Aktienmärkten reagiert?

Karasek: Wir hatten im letzten Jahr und in den Jahren zuvor zweistellige Wachstumsraten, letztes Jahr ist der Zertifikatemarkt um knapp 19 Prozent gewachsen, das wird es heuer aufgrund der Börsensituation im ersten Quartal des laufenden Jahres wohl nicht spielen. Allerdings hat sich im April gezeigt, dass Zertifikate aufgrund ihrer Vielfalt Allwetterprodukte sind. Das heißt, ich habe mit Zertifikaten im Unterschied zur klassischen Veranlagung, zum Beispiel in Aktien, die Möglichkeit, aus unterschiedlichen Marktszenarien Renditen zu erwirtschaften. Und da liegt die wirkliche Stärke und auch der Erfolg von Zertifikaten begründet: Dem Privatanleger werden Instrumente zugänglich gemacht, die bisher ausschließlich institutionellen Anlegern vorbehalten waren, nämlich die Derivate.

derStandard.at: Was heißt das konkret?

Karasek: Während bei der klassischen Veranlagung nur Erträge erzielt werden, wenn steigende Kurse eintreten, bieten Derivate die Möglichkeiten, nicht nur von steigenden Märkten, sondern auch von einer Seitwärtsbewegung oder sogar von fallenden Märkten zu profitieren. Und all das kann auch in einem einzigen Zertifikat verpackt sein.

derStandard.at: Wie funktioniert das Prinzip Zertifikate, und welchen Mehrwert haben sie gegenüber dem klassischen Investment?

Karasek: Zertifikate sind eine Anlagemöglichkeit in einen bestimmten Wert, aber mit einem auf Anlegerbedürfnisse zugeschnittenen Risiko-Ertrags-Verhältnis. In der Regel geht’s immer darum: ein bisschen weniger Risiko, ein bisschen höherer Ertrag. Der Emittent verwendet sein Derivate-Know-how, und bildet mit einem Zertifikat eine Option ab. Der Anleger kauft nicht die Optionen selber, sondern deren Eigenschaften in einer Schuldverschreibung.

Die Transparenz, was ausbezahlt wird, bleibt gewahrt. Das heißt, mit einem Produkt, das ein Anleger kauft, besteht die absolute Gewissheit, dass die Produktausgestaltungsmerkmale, die heute gekauft wurden, morgen auch wirklich erfüllt werden. Es gibt hier keine unliebsamen Überraschungen.

derStandard.at: Worin investieren Zertifikate, welche Möglichkeiten gibt es?

Karasek: Es gibt alle Möglichkeiten. Beginnen wir beim Spektrum: Zertifikate können auf Zinsen basieren, sich auf Indizes, auf Einzelaktien, geografische Regionen, Rohstoffe oder Währungen, aber auch auf Themenkörbe beziehen.

derStandard.at: Was wäre ein Beispiel für einen Themenkorb?

Karasek: Nachhaltigkeit, der Energiesektor, wobei entweder Spezialindizes der Branche oder Körbe von Aktien als Basiswerte herangezogen werden. Ein aktuelles Beispiel wäre ein Zertifikat, das sich auf die Fußballeuropameisterschaft 2008 beziehen könnte.

derStandard.at: Wie könnte so ein Zertifikat aussehen?

Karasek: Der Basiswert könnten Aktienkörbe sein, bei denen ein Emittent der Meinung ist, dass sie vom Großereignis profitieren können. Sportartikelhersteller, Fluggesellschaften, Bierbrauerein, Wettanbieter, und dergleichen.

derStandard.at: Für welchen Anlegertyp sind nun Zertifikate die geeignete Form der Veranlagung?

Karasek: An und für sich für jede Form von Anleger, weil es viele Formen von Zertifikaten gibt. Ein Zertifikat verändert das Risiko-Ertrags-Verhalten des zugrunde liegenden Index oder des Wertpapiers. Das reicht vom Garantiezertifikat, mit dem man einen Anleger abholen kann, der eher aus der Anleihen- oder Sparbuchecke kommt, bis zum Hebelprodukt in allen seinen Varianten für den kurzfristig orientierten Trader.

derStandard.at: Was sind die Risiken?

Karasek: Die größte Produktgruppe in Österreich sind die Anlagezertifikate. Hier sind die Risiken nicht höher als im zugrunde liegenden Underlying. Das ist das Risiko, das der Anleger zu tragen hat. In der Regel ist das Risiko bei einem Anlagezertifikat geringer als im Underlying, wie bei Bonuszertifikaten, Aktienanleihen.

derStandard.at: Das Emittentenrisiko bleibt aber bestehen. Investoren gehen also im Insolvenzfall eines Emittenten leer aus.

Karasek: Zertifikate werden wie jede andere Schuldverschreibung behandelt. Wie bei einer Bankanleihe trägt der Anleger das Schuldnerrisiko. Man muss sich gut überlegen: Von wem kauf ich ein Zertifikat, wem geb’ ich mein Geld? Als Anleger kann man dabei sehr wohl auf das Rating des Emittenten schauen, so wie das auch bei der Schuldverschreibung der Fall wäre. Darüber hinaus wird aktuell in Deutschland an einem eigens entwickelten Rating für Zertifikate gearbeitet.

derStandard.at: Wer erstellt dieses Zertifikate-Rating?

Karasek: Die European Derivatives Group (EDG) hat dieses Rating gemeinsam mit dem Deutschen Derivate Verband entwickelt. Dabei werden sehr viele Komponenten berücksichtigt: Die Schuldnerqualität, die Informationsqualität, die angemessene Preisstellung. Damit soll ein deutlich besseres und noch mehr auf Zertifikate zugeschnittenes Bild der Emittenten geliefert werden. Außerdem ist dies ein ganz wichtiger Schritt zur Selbstregulierung des Marktes und erhöht die Transparenz.

derStandard.at: Wie sieht es mit einem Zertifikate-Rating in Österreich aus?

Karasek: In Österreich arbeiten die Emittenten ebenfalls an einer Möglichkeit, Zertifikate einem Rating zu unterziehen. Zusätzlich soll der Value at Risk (Anm.: Messgröße für das zukünftige Risiko eines Investments) von Zertifikaten eine Vergleichbarkeit und eindeutige Zuordnung zu Risikoklassen ermöglichen. (Daniela Rom, derStandard.at, 9.6.2008)