Wien – Es muss ein wahrhaft erhabenes Gefühl sein, vor solchen Massen zu stehen; und natürlich will man dieses Gefühl auskosten, indem man allerlei Opulenz zum Schwingen bringt. Dirigent Riccardo Muti steht natürlich nicht zum ersten Mal jener Chor-Solisten-Orchester-Kathedrale vor, wie sie bei Giuseppe Verdis Missa da Requiem notwendig scheint.

Aber man spürt im Wiener Musikverein doch die organisierende Lust an jenen Effekten, die sich hier durch Klangmassierungen ergeben können. So kommt das "Dies irae" wuchtig über die Anwesenden im Goldenen Saal herein, und da sich dieser ungeheure Moment des Bedrohlichen im Werk mehrfach einstellt, hat man fast das Gefühl, aus ihm heraus würde alles entwickelt. Dazwischen natürlich auch das andere: Die Wiener Philharmoniker entfalten ihre Legato-Kultur, beschenken mit dem kostbaren Schönklang (besonders im "Agnus Dei"), nur im "Sanctus" da und dort eine kleine Einsatzschwäche bei den Bläsern. Der Preis, den man hier zahlt, ist klar: Es ist eine sehr diesseitige Angelegenheit, die man angenehm erlebt, eine, die mehr in Schönheit schwebt als erzählt, eine, die ein bisschen an der Oberfläche ihr Glück sucht.

Es ist im Vokalen durchwegs jene Qualität vorhanden, die dem Konzept dient. Zwar schwankt sie ein wenig, aber letztlich sorgt sie für markante Momente. Barbara Frittolis Sopran hat kostbare Höhen, die ein wenig gefährdet scheinen. Luciana D’Intino findet zu wunderbaren Momenten, hat nur in den Tiefen etwas wenig Ausdruck. Ramón Vargas ist von wunderbarer Kantabilität. Thomas Quasthoff schafft es, sein Timbre mit Verzweiflung und Intensität aufzuladen, womit er Klang, Emotion und Aussage vereint. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD/Printausgabe, 10.06.2008)