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Eines der vielen Flüchtlingslager im kenianischen Rift Valley. Nach Schätzungen wurden bei den Unruhen 600.000 Menschen vertrieben.

Foto: AP/Senosi
Fernab der Hauptstraße, die Kenias Küste mit Uganda verbindet, auf einem Berggipfel sind die Erinnerungen an die blutigen Tage gegenwärtig. In der Stille eines dichten Waldes erhebt sich hier im Rift Valley, im Westen des Landes, ein vor mehr als 50 Jahren erbautes Kloster aus Granit, in das sich der Zisterzienser-Orden zurückgezogen hat. Pater Stefano Rwegarulira, der das Kloster „Unsere Mutter Gottes von Victoria“ leitet, liest jeden Tag die Zeitungen aus dem 200 Kilometer entfernten Nairobi. „Ich lese von der großen Koalitionsregierung und den Aufrufen der Politiker zum Ende des Hasses, aber hier hat sich nichts geändert, der Hass ist immer noch da.“

Sechs Monate ist es her, als nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Ausschreitungen begannen. Die Opposition warf der Regierung massive Wahlfälschung zugunsten von Präsident Mwai Kibaki vor. Bei den Ausschreitungen starben mehr als 1000 Menschen. Seit März regiert in Nairobi eine große Koalition, in der sich die politischen Widersacher zusammengefunden haben. Heute, Mittwoch, wird wieder gewählt: Fünf Parlamentssitze müssen neu besetzt werden.

Kampf um das Land

Doch die Wurzeln des Konflikts, so glaubt der 80-jährige Pater, gehen viel tiefer als die Politik. „Da spielt vor allem der Kampf um das knappe Land eine Rolle.“ Die Mehrheitsethnie der Kalenjin erhebt Anspruch auf die fruchtbaren Felder, auf denen nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 Kikuyu aus dem Hochland, Luhya aus dem Westen und Luo vom Viktoriasee angesiedelt wurden.

Als die angeheizte Stimmung in Pogromen eskalierte, wurden tausende Nicht-Kalenjin von im Wahlkampf aufgehetzten ethnischen Milizen vertrieben. Sie flohen in die wenigen Orte, die ihnen sicher erschienen; Orte wie das Kloster von Kipkelion.

„Es war am helllichten Tag, die Leute kamen aus allen Richtungen angerannt und sind auf unseren Hof geströmt“, erinnert sich der Zisterzienser Rwegarulira. „Sie sind aus ihren Häusern getrieben worden, von jugendlichen Kalenjin, die mit Macheten bewaffnet waren. Dann wurden die Häuser angezündet, die meisten konnten nichts retten außer ihrem Leben.“ Am Ende des Tages waren es 700 Vertriebene, die die Mönche notdürftig im Stall, im Lagerraum und in der Abtei unterbrachten. Das Klostergelände wurde von Milizen umstellt.

Weil das Kloster wie eine Festung gebaut wurde, konnten die anrückenden Polizisten das Gebäude leicht verteidigen. Inzwischen haben die Flüchtlinge das Kloster wieder verlassen. Wer vor zwei Wochen noch in der Abtei lag, lebt jetzt in den Zelten, die das Rote Kreuz ins Kloster brachte.

„Traue mich nicht zurück“

Der Weg ins Lager von Murao führt eine halbe Stunde entlang brachliegender Maisfelder, auf denen noch die Überreste der letzten Ernte liegen. „Meine Farm ist dort drüben, ein Hektar Land und ein einfaches Farmhaus, aber es ist alles niedergebrannt, und ich traue mich nicht zurück“, klagt Jackson Ogero, ein 60-jähriger Vater von acht Kindern. Mit seiner Frau, zwei Kindern und drei Enkeln teilt er sich nun eine Zelthälfte. In der anderen Hälfte, die eine Plastikplane abtrennt, leben seine erwachsenen Kinder samt Familie.

200 Menschen leben hier. Die anderen 500 aus dem Kloster von Kipkelion sind in „das Land ihrer Ahnen“ zurückgekehrt: in die Regionen, wo ihre Ethnie die Mehrheit stellt. Aus Kenia ist ein Land geworden, das sich dem Rassenhass ergeben hat.

An Versöhnung glaubt Pater Rwegarulira nicht mehr. „Die Kalenjin sehen uns immer noch als ihre Feinde, viele wollen das Land haben, auf dem unser Kloster steht“, sagt er, während er Bibeln in eine Metallkiste packt. Die Bibliothek des Ordens ist schon halbleer geräumt, in wenigen Tagen kommen die Lastwagen. Der Orden zieht nach Uganda um. Rwegarulira sorgt es, dass die Menschen keinen Zufluchtsort mehr haben werden. Dennoch will er gehen: „Eine Chance auf Frieden gibt es hier nicht, und man kann nicht in Ruhe beten, wenn man ständig darauf achten muss, dass man nicht von hinten erstochen wird.“ (Marc Engelhardt aus Kipkelion/DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2008)