Eher einsam als gemeinsam: Gibt man Alfred Gusenbauer zu Unrecht Schuld am derzeitigen Niedergang der SPÖ?

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Erstaunlich: Die von der Linken jahrzehntelang vorhergesagte Krise ist da, der Lebensstandard vieler Menschen gefährdet, und die Sozialdemokratie – Arzt am Krankenbett des Kapitalismus – taumelt in hilflos stolperndem Gleichschritt mit den zusamenkrachenden Finanzmärkten herum. Und hierzulande glaubt man, Gusenbauer sei am Niedergang der SPÖ schuld. Läppisch!

Lassen wir die Kritiker Gusenbauers Revue passieren. Am Balkon der Kermit-Show verteilt Altkanzler Vranitzky Noten und hat leicht reden: Im Jahrzehnt seiner Kanzlerschaft hat er Jörg Haider von der Regierungsmacht ferngehalten, aber kein politisches Mittel gefunden, dessen Aufstieg zu bremsen. Nur eine Wahl hat er (wenig überzeugend) gewonnen. Als Erbstück hinterließ er den prächtigen Viktor Klima, das Familiensilber war leider futsch (AZ! Konsum!). Danke und vergelt’s Gott! Vranitzky möge die SPÖ nicht mit Personalvorschlägen behelligen.

Franz Voves beherrscht das Donnergrollen aus dem Süden, wofür er inhaltlich steht, ist weniger klar. Dass viele die Salzburger Landeshauptfrau Burgstaller als ideale SP-Kanzlerin sehen, ist bemerkenswert. Man setzt wohl auf den „Salzburg-Effekt“ – dort wurde sie gewählt, weil man ihr nicht anmerkte, aus der SPÖ zu kommen. Ihre Fähigkeit zu launiger Illoyalität gegenüber dem SPÖ-Vorsitzenden ist ebenso unbestritten wie ihr politischer Standort ungewiss – der ist bis heute ihr Privatgeheimnis. Einsam versucht der Oberösterreicher Erich Haider einige inhaltliche Fragen aufs Tapet zu bringen, ohne Gusenbauer gleich ans Bein zu pinkeln: wie das sei mit dem Neoliberalismus, der EU und der sozialen Gerechtigkeit. Gute Fragen, die in der SPÖ-Spitze sonst niemand stellt.

Das Desinteresse an guten Antworten zeichnet seit einiger Zeit auch die Wiener SP aus. Im Glauben, es genüge, eine Stadt zu verwalten, hat diese einst geistesmächtige Stadtpartei dem politischen Ideenreichtum abgeschwo-ren. Neoliberaler Geist umwabert den allzeit illuminierten Rathausmann: egal, ob es sich um Gebührenpolitik handelt, um die Auslagerung kommunaler Aufgaben oder um die Nutzung des öffentlichen Raums für private Profitinteressen. Das Fiakerlied, vorgelebt vom Wiener Bürgermeister, wird als politische Kernaussage auf Dauer nicht reichen.

Wer diese desperate Truppe von Polit-Hooligans betrachtet, erkennt, dass Gusenbauer da noch das Beste ist, was der SP zustoßen hat können. Bloß: Kann sich jemand vorstellen, dass ein Weltkonzern wie Coca-Cola bei der Suche nach einem neuen Chairman auf den tüchtigen Verkaufsleiter von Pinkafeld stößt, diesen nach Atlanta holt und zum Chief Executive Officer ernennt? Da muss vorher ganz Atlanta und halb Amerika von Erdbeben, Tornados und Vulkanausbrüchen gleichzeitig plattgemacht worden sein.

Inhaltlich ausgeblutet

Bei uns reichten zehn Jahre Vranitzky und die Klima-Monate aus, die SPÖ so zu ruinieren, dass ein kluger Hinterbänkler, bar jeder Erfahrung in großen Administrationen, von Ybbs direkt an die Parteispitze katapultiert werden musste. So verheizt man Talente! Allein schon die Tatsache, dass es ihm gelang, die Parteifinanzen zu sanieren, grenzt an ein Wunder. Die SPÖ krankt nicht an Gusenbauer, sondern selbiger krankt am Zustand seiner Partei – wobei man zugeben muss, dass er Teil dieser Erkrankung geworden ist. Das Problem ist trotzdem nicht Gusenbauer, sondern eine inhaltlich ausgeblutete SPÖ, die sich auch in der Opposition nicht regenerieren konnte. Es spricht für Gusenbauer, dass er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Vorsitzender das „Netzwerk Innovation“ ins Leben gerufen hat. Dass diese Initiative unter Zurücklassung kaum brauchbarer Papierhaufen scheiterte, war zu befürchten.

Der Werber Luigi Schober, Verantwortlicher der letzten NR-Werbekampagne, versprach, die SP-Werbung werde „das reine Napalm“ sein. Er hatte recht. Die SPÖ verlor in den Verhandlungen mit der ÖVP sogar die Unterhosen. Nackt steht sie vor den Wählern und tagtäglich tropft das Napalm der eigenen Werbesprüche auf die schutzlose Haut. Wie schon in den Vranitzky-Jahren hatte man den Fehler begangen, um den Preis der Kanzlerschaft auf eigenes Profil zu verzichten, mehr noch: unmissverständliche Wahlversprechen nicht einzuhalten.

Wurzel der Unzufriedenheit

Mit ein wenig mehr Erfahrung und ein bisschen Mumm hätte man natürlich die Jagdbomber abbestellen, die Studiengebühren beseitigen und bei den Pensionen standhaft bleiben können. Nicht zu vergessen: Eine SP-Minderheitsregierung hätte bei diesen Themen sichere Mehrheiten im Parlament gefunden. Man hat sich nicht getraut, die Minderheitsregierung gegen den Bundespräsidenten durchzusetzen. Das ist die eigentliche Wurzel der Unzufriedenheit. In dieser Koalition kann im Sinne der SPÖ-Wähler nichts gelingen, solange die ÖVP mauert. Diese Koalition ist nicht haltbar, ohne die SPÖ zu beschädigen – außer die ÖVP gibt bei ein paar essentiellen Fragen nach. Sie bleibt aber lieber auf Schüsselkurs und hält die SP in einer Art babylonischer Gefangenschaft.

Das Dümmste, was die SPÖ tun könnte, wäre, Gusenbauer in die Wüste zu schicken. Das ändert gar nichts. Es gibt genug andere Möglichkeiten, die nur wahrgenommen werden müssen: Man raffe sich auf, endlich etwas für die Absicherung des Mittelstandes (traditioneller Partner der SP!) zu machen. Man nehme die großen Konzerne steuerlich wieder in die Pflicht. Gleichzeitig werden Konzepte benötigt, um jene 2,5 Millionen Arbeitnehmer, die wegen geringen Einkommens keine Steuer mehr zahlen, wieder auf menschenwürdige – und besteuerbare! – Lohnhöhen zu heben.

Man wird den neoliberalen Plunder über Bord werfen und auch in EU-Fragen mehr bewegen müssen. Wer seine Gegnerschaft zum Neoliberalismus beteuert, ohne die vier Grundfreiheiten im Sinne der arbeitenden Bevölkerung neu zu definieren, ist unglaubwürdig. Jene Partei, die sich ehrlich dafür einsetzt, das neoliberale Primärrecht der EU zu demokratisieren, ohne dabei die europäische Idee zu verraten, wird auch bei den EU-müden Wählern Anerkennung finden.

Wenn die Wählerschaft zu Haider, Martin oder Dinkhauser flüchtet, dann ist das ein politischer Selbstmordversuch. Im Wesen solcher Selbstmordversuche liegt es, dass sie den Wunsch nach Rettung artikulieren. Wenn die SPÖ sich dazu durchringen kann, den Menschen zuzuhören, die roten Politiker sich wieder in die Lebensum-stände der „kleinen“ Leute einfühlen und eine Politik entwickeln, die diese Menschen nicht mit ihren Problemen allein lässt, dann kann sie jede Wahl gewinnen – mit oder ohne Gusenbauer. Lässt man aber alles so, wie es ist, und schlachtet nur den Leithammel ab, dann folgt auf den Pyrrhussieg von 2006 eine echte Innovation der SPÖ: die Pyrrhusniederlage von 2010. (DER STANDARD Printausgabe, 12. Juni 2008)