Die Grünen sind mittlerweile zum fixen Bestandteil dieser Koalition der Verlierer geworden. Obwohl sie in Opposition sind, werden sie in ihrer Stromlinienförmigkeit dem politischen Establishment zugeordnet. Deshalb gelingt es ihnen nicht mehr, das Potenzial der Enttäuschten und der Protestwähler anzusprechen. Das ist auch ein Problem der Positionierung: Sie werden nicht mehr als politische Alternative, sondern bestenfalls als Ergänzung zu den beiden Großparteien wahrgenommen. Es mag ein paar inhaltliche Gründe geben, Grün zu wählen, aber es gibt keinen "Bauchgrund", dem Professor der Langsamkeit und seiner schicken Prinzessin auf der grünen Erbse die Stimme zu geben.

Umgekehrt verhält es sich mit den Freiheitlichen, und das ist ihre große Stärke: De facto gibt es keinen inhaltlichen, keinen vernünftigen Grund, FPÖ zu wählen, aber jede Menge Bauchgründe: Wut, Enttäuschung, Resignation. Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer ist es gelungen, ein Gefühl der Ohnmacht und der Lähmung über Österreich auszubreiten.

Mit wem man auch spricht: Die Leute sind von der Politik und ihren Proponenten angewidert. Subjektiv empfunden ist die Politikverdrossenheit so hoch wie nie. Und da ein Fritz Dinkhauser auf Bundesebene nicht in Sicht ist, werden die Freiheitlichen die Stimmen der Enttäuschten einsacken; jener Enttäuschten, die überhaupt noch zur Wahl gehen werden. Die FPÖ muss dazu nicht viel tun. Eigentlich gar nichts. Nur die anderen gewähren lassen.

Das muss all jenen bewusst sein, die dieser Tage wieder eine Neuwahldebatte vom Zaun brechen, insbesondere jenen Zündlern in der SPÖ, die am Sessel ihres Kanzlers sägen. Neuwahlen nützen nur der FPÖ. So einfach ist das.

Dennoch gibt es gerade bei den Sozialdemokraten viele, die diesen Umstand ignorieren und Szenarien entwickeln, die auf eine weitere Eskalation ausgerichtet sind. Es gibt sogar etliche, die den Gang in die Opposition hinnehmen würden, was für die stimmenstärkste Partei einigermaßen absurd ist. Diese Leute sitzen in den Bundesländern, selbstverständlich auch in Wien, und sie haben jeweils nur ihre eigenen Interessen vor Augen: die nächste Landtagswahl.

Es stimmt, Alfred Gusenbauer ist bisher den Beweis schuldig geblieben, dass er ein guter Kanzler ist. Gleiches gilt übrigens für Wilhelm Molterer als Vizekanzler. Nur bekommt Gusenbauer das Fett viel dicker ab, weil bei ihm die Erwartungshaltung höher war, vor allem auch bei den eigenen Leuten. Umso schwerer wiegt die Enttäuschung.

Natürlich ist Gusenbauer für die roten Landeschefs eine Bürde. Mit ihm als Bundeskanzler in Landtagswahlen gehen zu müssen wird von den Landeschefs als ein geradezu unfaires Handicap empfunden. Sie wollen Landeshauptmann (Landeshauptfrau) bleiben oder werden. In der Steiermark, in Salzburg, in Oberösterreich. Um dieses Ziel zu erreichen, würden sie auch den Kanzler opfern. Oder diesen Kanzler. Auch in Wien.

Im Herbst ist Parteitag. Wenn Gusenbauer einen Blick auf die Delegiertenliste wirft, wird er eine Mehrheit seiner Gegner erkennen. Die überwiegende Zahl der Delegierten sind Abgesandte der Länder. Wenn Gusenbauer nicht noch ein kleines Wunder gelingt, etwa in Form einer vorgezogenen Steuerreform, von der alle etwas haben, wird das Benzinfass, an das bereits Lunte gelegt wurde, nicht mehr zu löschen sein. Dann könnte es Neuwahlen geben, weil die Koalition platzt. Mit der FPÖ als Gewinner. Oder die SPÖ tauscht "nur" ihren Kanzler aus - gegen dessen Willen. Was noch nie da war. Aber nicht denkunmöglich ist. (Michael Völker/DER STANDARD Printausgabe, 12. Juni 2008)