Genf - Die Spiele im richtigen Fußball werden von Spielern entschieden, die Österreich nicht hat: von den Besonderen. Dazu kommt, dass die meisten Mannschaften in der EURO gemeinsam schnell denken und handeln.

Die taktische Vorbereitung (des eigenen und des gegnerischen Spiels) bildet längst eine selbstverständliche Voraussetzung. Die Deutschen beschäftigen dafür ein ganzes Team, das der Schweizer Urs Siegenthaler führt. Die Österreicher haben sich erst mit dem Amtsantritt von Josef Hickersberger in diese Notwendigkeiten gefunden. Es war höchste Zeit. Eine Analyse ohne jede Schönrederei belegt die Schwerfälligkeit (im Denken, Passen, Kombinieren) und die daraus resultierende Harmlosigkeit der ÖFB-Kicker. Sie haben vielleicht einen Plan, aber sie können ihn kaum ausführen, schon gar nicht in erforderlichem Tempo. Denn der spektakuläre Teil der EURO ist die Typologie der Besonderen. Wesley Sneijder und Rafael van der Vaart, Nuno Gomes, Cristiano Ronaldo und David Villa, Fernando Torres, Andres Iniesta, Zlatan Ibrahimovic oder Lukas Podolski. Allesamt schnelle Rechner.

Die Systeme sind verschieden, wenn auch nicht sehr, sieht man von den Griechen ab. Selbst deren "Verfehlung" besteht nicht in der Wahl der falschen Mittel, sondern in der Missachtung des hohen Zieles: harmonische Rasanz. Die Griechen beleidigen das Herz, nicht den Kopf des Fans. Aber sind die Franzosen, die wahrscheinlich hurtig sein könnten, aber bisher (im Spiel gegen Rumänien) aus pragmatischen Gründen nicht wollten, nicht die größere Beleidigung? Die Österreicher wiederum können Schnelligkeit nur simulieren. Das führt zum Missverhältnis von Wollen und Ausführung, von individueller und kollektiver Geschwindigkeit: Hektik.

Andy Roxburgh, der Technische Direktor der UEFA, beschreibt im aktuellen Report der Champions League (2006/2007), dass durch die bessere taktische Ausbildung der Teams, die größere defensive Konsistenz und die höhere Schnelligkeit und Ausdauer der Verteidigenden sowie die Vertiefung der Verteidigungszone die Anforderungen an die Angreifer erheblich steigen.

Kreative werden wichtiger

In der EURO zeigt sich dasselbe Phänomen. Die Teams müssen taktisch flexibel agieren, rasch kontern, Konter abfangen und Gegenkonter lancieren. Oder sie unterliegen. Kreative, die eigene Systeme nutzen und sie darüber hinaus im Sprinttempo überraschend interpretieren und binnen Sekundenbruchteilen gegnerische Systeme aushebeln können, werden immer wichtiger und nicht zufällig gehütet wie Kronjuwelen und bezahlt wie ÖBB-Manager.

Die erste EURO- Runde erbrachte vier Tempozentren.

Die Portugiesen (4-2-3-1). Fantastisches Mittelfeld um Nuno Gomes und Deco. Eine Viererkette, deren Mitglieder besser kicken als die meisten Regisseure der Welt. Dazu Cristiano Ronaldo, der seitlich sein eigenes, abwartendes, überfallsartiges Spiel betreibt.

Die Deutschen. Konservativ angelegt (4-4-2), unheimliche Präsenz und personelle Konsistenz. Podolski, Klose und Gomez sind Schnelldenker; auf der Seite Jansen und Fritz zwei Wieselflinke; dazu mit Ballack und Frings zwei nagelharte, vife Organisatoren.

Die Niederlande (4-2-3-1). Der traditionelle Flügelstürmer ist passé. Die Rasanz entsteht jetzt aus dem Inneren des Teams, wird oft über die Seite geäußert und endlich ins Ziel gebracht. Links über van Bronckhorst, Sneijder, van der Vaart, rechts über Ooijer, Kuyt, van der Vaart, mündet im Center (van Nistelrooy) oder in Doppelpässen und Steilvorlagen hinter die Viererkette der anderen.

Ähnlich die Spanier. Ihr 4-4-2 stellt eine besonders unzulängliche grafische Beschreibung dar. Der Wirbel kreist um Pujol, Iniesta, Xavi Hernandez und spitzt sich in Villa, Torres zu. An den Spaniern (Villa, Torres, Iniesta) und Niederländern (Sneijder, van der Vaart) lässt sich augenfällig der Typus des kleinen, sprintstarken, unermüdlichen, fantasievollen, umfassend ausgebildeten und polyvalenten (Center, Flügel, Ausputzer, Verteidiger) Spielers zeigen. Auch diesbezüglich ist Ibrahimovic eine Ausnahmeerscheinung - großgewachsen, Schwede, und doch wendig. Auch geistig. (Johann Skocek aus Genf; DER STANDARD Printausgabe 12. Juni 2008)