Selten erkennt man den zentralen Gedanken eines künstlerischen Projektes so schnell: Was man hier wahrnimmt, ist zunächst nur die eigene Wahrnehmung. Dabei ist eigentlich genau das Gegenteil versprochen: In der überdimensionalen weißen Kiste auf den Stufen zur Design-Sammlung der Pinakothek der Moderne in München steht der futuristische, wasserstoffbetriebene Rennwagen H2R von BMW: 12 Zylinder, 210 kW/285 PS, in sechs Sekunden auf 100, Spitzengeschwindigkeit 300 km/h. Dieses neueste BMW-Schmuckstück sollte der isländisch-dänische Künstler Olafur Eliasson zu einem Kunstwerk, zum 16. "Art Car" umwandeln - und verbirgt es stattdessen vollständig unter einer Eisschicht.
"Art Car"-Projekt
Seit 1975 verfolgt BMW das "Art Car"-Projekt. Die Idee dazu stammt nicht aus der Marketingabteilung, sondern von dem französischen Rennfahrer Hervé Poulain. Der bat den Freund und Künstler Alexander Calder, seinen BMW 3.0 CSL zu bemalen und startete mit dieser rasenden Leinwand beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Nach sieben Stunden musste das Auto zwar wegen einer defekten Antriebswelle aus dem Rennen genommen werden, aber das Projekt existiert bis heute.
Auf Calder folgte Frank Stella, der den Wagen mit einem an Blaupausen erinnernden Linienraster überzog. Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg, David Hockney: Sie alle malten die Karosserie an, Andy Warhol brauchte gerade einmal 30 Minuten für seine schnelle Malerei, und Ernst Fuchs' Flammenmeer von 1982 würde heute jedes GTI-Treffen bereichern. Seit Jenny Holzer 1999 den V12 LMR mit sechs kurzen Texten beklebte, schien das Projekt gestoppt. Die zweidimensionale Behandlung der Autos hatte sich erschöpft. Eine internationale Jury sollte einen Ausweg finden - und entschied sich schnell für Olafur Eliasson. 2005 erhielt er den Auftrag für den H2R.
Eliasson gehört zu den Superstars der zeitgenössischen Kunst. Mit Spiegelungen und Reflexionen, dem künstlichen Sonnenaufgang in seinem sensationellen "Weather Project" 2003 in der Tate Modern in London, den Horizont-Linien, aufsteigenden Wasserfällen und bezaubernden Eiskonstruktionen konfrontiert Eliasson sein Publikum mit Naturphänomenen, die er aber weder erklären noch verklären will. Nicht sein Werk, Objekte, Phänomene stehen im Fokus, sondern wir und das Erlebnis - denn "in diesem Falle hat man die Verantwortung an den Betrachter für die Wirklichkeit übergeben und das Werk ist relativ. Das ist für mich eine viel reizvollere Idee, allein dadurch, dass es ein gesellschaftliches, nicht normatives Potenzial besitzt", erklärt Eliasson. Seine Installationen leben von Veränderungen. "Das Werkzeug dabei ist Zeit. Nicht die Zeit im Objekt, sondern in der Beziehung zwischen Betrachter und Objekt, die Zeit der Auseinandersetzung, das Engagement - Zeit als Träger für die Wirklichkeit."
Keine Design-Herausforderung
Die Zeit sieht Eliasson auch als zentrale Kategorie beim Nachdenken über Autos: Die Werbung verspricht zeitloses Design, die Maschine verspricht Zeit als Mobilität und Bewegung. Aber es handelt sich um eine versachlichte Zeit, die man sparen oder gewinnen kann, keine erlebte. Im Autodesign steht die technische Optimierung der Fortbewegung zur Diskussion, in der Wahrnehmung die Fetischisierung. Eliasson dagegen sucht eine andere Ebene: "Dieses Projekt war für mich keine Design-Herausforderung - ich kenn mich damit auch gar nicht aus. Mich interessiert es, wie Design das sozialisierende Potenzial über die Vermarktung tendenziell mehr und mehr verliert." So betont er mit seinem "Art Car" eben die sozialen und umweltspezifischen Aspekte - und will noch dazu nichts weniger, als die Autoindustrie verändern in der Hoffnung, "dass sie es endlich für notwendig erachtet, Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt zu übernehmen".
Man ahnt es bereits: Die Gespräche zwischen BMW und Künstler verliefen während der fast dreijährigen Entwicklungszeit nicht immer harmonisch. "Sie können mir jetzt ein Jahr lang zuschauen, wie ich meinen Job verliere", zitiert Eliasson schalkhaft Thomas Girst, Sprecher der BMW-Kulturkommunikation, bei seiner Rede während des Gala-Dinners anlässlich der H2R-Präsentation. Der Künstler arbeitete mit schlechtem Gewissen, aber unbeirrt weiter an der Demontage des Autos. "Als ich das Auto bekam, war es eher ein Fahrgestell", erinnert sich Eliasson.
Die Carbonfaser-verstärkte Außenhaut nahm er ab, zog zunächst eine Spiegelhaut und dann ein Metallnetz mit dreieckigen Metallplättchen über den Wagen. "Wäre diese Triangulierung ein Lack, könnte man auf die Pyramiden schauen, die eine Seite rot, die andere blau - je nach Perspektive gibt sich eine andere Farbe zu erkennen. Die Idee ist ein Auto, das stark veränderbar ist, sodass die Bewegung der anderen beim Vorbeifahren das Auto definiert. Ein relatives Objekt in Bezug zur Bewegung. Ein Auto, das vielleicht rot oder vielleicht blau ist, dessen Aussehen nicht vom Design, sondern von unserer zeitlichen und räumlichen Beziehung zur Welt abhängt."
Respektlosigkeit vor einer heiligen Kuh
Aber das wäre die letzte Phase, wenn das Modell dann straßentauglich wäre. So viel Budget stand nicht zur Verfügung. Also begnügt Eliasson sich mit dieser "Studie zur Phase 3": 2000 Liter Wasser langsam daraufgesprüht, gefroren - und wir können weder die Konstruktion noch das Auto erkennen. Dieses Stück hier ist keine Frage von Kunst oder Design, von Auto oder Objekt, es ist eine Respektlosigkeit vor einer heiligen Kuh, dem Auto. Es ist ein bahnbrechendes Statement. Und Girst verlor seinen Job natürlich nicht.