Mittwochabend am Brunnenmarkt. Die Standler haben längst zugesperrt, wer jetzt noch hier ist, schaut Tschechien-Portugal - oder wartet auf das zweite Spiel. "Die Türkei soll gewinnen, von Herzen aus!", ruft Adi. Gut, aber wer wird gewinnen? - "Serbien."

Foto: derStandard.at/mas

Diesen Ultra braucht man wohl nicht zu fragen, wer gewinnen wird. Er heißt Ahmed, ist 14 Jahre alt, das Match verfolgt er im Kaffeehaus seines Vaters.

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Muslü kommt aus Serbien und hat "zehn bis zwanzig Euro" darauf gesetzt, dass die Schweiz gewinnen wird. "Die Türkei hat keine Stürmer." (Klar, denn sie heißen Yakin und Eren Derdiyok und spielen für die Schweiz.) Wer die EM gewinnen wird? "Italien, Deutschland oder Portugal. Oder Spanien."

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Warum er glaubt, dass die Türken gewinnen, fragen wir Mustafa, der vor zwei Jahren von Tokat nach Wien gezogen ist. "Weil Knoblauch gut ist", flüstert ihm Adi ein. Mustafa, Tippkaiser-verdächtig: "Ich habe schon beim Portugal-Spiel richtig getippt. Und jetzt sage ich: 2:1."

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Eine Greißlerin putzt gerade die Fleischvitrine. Sie ist Bulgarin, findet aber, dass die Türken gewinnen sollen: "Weil sie immer so viel Geld bei mir ausgeben."

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"Ich gehe jetzt nach Hause", sagt Hacer Abla. "Wäre schon gemütlich, zuhause das Match zu schauen und dabei Kaffee zu trinken." Geht leider nicht, weil kein ORF-Empfang. Der einzige türkische Sender, der das Spiel zeigt, ist zahlungspflichtig. Und für eine Beislpartie ist Abla "viel zu müde". "Aber meine Kinder und mein Schatzi schauen eh. Die rufe ich jede halbe Stunde an und dann weiß ich, wie es steht."

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Und was ist ihr Tipp? "Unentschieden. Die Türkei ist nicht mehr so gut wie früher." Und für das nächste Österreich-Spiel? "Könnte ein Null-Null sein. Bei allen anderen Mannschaften hätte ich gesagt, dass die Österreicher verlieren. Aber bei Polen würde ich das nicht so sehen."

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Mustafa sieht das anders, er kontert auf Türkisch. "Tut mir leid, du musst Deutsch mit mir reden", dizsipliniert ihn Abla, die im Hauptberuf Schulwärtin ist. "Aber ich bin doch erst seit zwei Jahren da!" - "Trotzdem." - "Na gut. Aber langsam sprechen!"

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Eine Gruppe Türkei-Fans zieht vorbei, sie jubeln. Der Sieg der Portugiesen sorgt für gute Stimmung: Auch die Tschechen müssen dran glauben. Wohin sie gehen? "In die Fanzone."

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Auch diese Fans machen den Fanzonen-Wirten Hoffnung. Frau Hacer Abla macht sich indessen endgültig auf den Weg. Welches Lokal sie uns fürs Spiel empfehlen würde? Sie selbst würde ins Kent (in der Brunnengasse) gehen. "Hier kenne ich alle Leute. Wir am Brunnenmarkt sind wie eine Familie, stimmts?" - Mustafa: "Yes! Äh – Ja!"

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Melissa ist Tochter eines Handyshop-Besitzers. Auf derStandard.at-Anfrage hält sie einen Sieg der Türkei für durchaus realistisch. Wo sie das Spiel verfolgen wird, will uns der Fan nicht sagen....

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...wir finden es selbst heraus: Im "Kent". Wo sonst, denken wir,...

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... und wir dürften nicht die einzigen sein. Im ziemlich gut ausgebuchten Salon des Gasthauses sind die Fans ohne türkischen Familienhintergrund in der Überzahl.

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Peter, ein Ottakringer mit oberösterreichischem Migrationshintergrund, sieht es anders: Ich wohne im Sechzehnten. Ich kann gar nicht anders, als Türkei-Fan zu sein."

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Ein Kollege von der Nachrichtenagentur dpa nennt das "Wiener Bobos gehen Türken-Schaun".

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Langsam füllt sich das eher international beflaggte Lokal, die Luft wird heiß und schummrig, wie im Bild deutlich zu sehen ist.

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Identitätskrise mit Happy End: "Für wen ich bin? Unparteiisch. Für Tschechien. Nein, für Österreich. Österreich ist meine Lieblingsmannschaft. Na gut, für die Türkei", sagt Attila (re. im Bild).

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Attila und Uzun (nicht im Bild) schauen hier, "weil unsere Eltern Türken sind." Sie selbst führen ein hartes Studentenleben, der Prüfungsstress hindert sie daran, alle Spiele zu sehen, dabei hätte Uzun ein besonders starkes Interesse: Er hat selbst 14 Jahre Fußball gespielt, auch bei der Austria U-19. "Damals war Karl Daxbacher mein Trainer und Ümit Korkmaz mein Gegner", grinst er. Erst letzte Woche hätte er Korkmaz in Favoriten auf der Straße getroffen. "Er hat gesagt, es geht ihm gut, aber er fürchte, dass er in der ersten Hälfte noch nicht auf den Rasen darf." Seine Furcht, Hickes Wille.

"Ich hoffe, wir verlieren", sagt der Kent-Chef. "Wenn wir gewinnen, gibt es immer Katastrophen hier." Auch eine Art, mit Niederlagen fertig zu werden.

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Ein Exote mit Weitblick: "Hier kriege ich mehr Sympathie als am Swiss Beach", glaubt dieser Schweiz-Fan. "Außerdem feiern die Türken besser." Wie wahr.

Die türkische Mannschaft erscheint auf dem Bildschirm, die Spieler bewegen ihre Münder: Nationalhymne. Vor lauter Geschirrklappern und Gerede kann man sie nicht hören, aber es singt ohnehin keiner mit.

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Anpfiff. Ruhe im Salon. Freundliches Klatschen, als der türkische Torwart den Ball hält. "Das würde es bei uns nicht geben", betont derStandard.at-Sportredakteur Thomas Hirner. Seine Analyse: "Hier stehen sie voll hinter dem ganzem Team."

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31. Spielminute. Eine Minute später wird in Basel ein Tor fallen und in Wien ein Kellner sein Stirnband abnehmen: "Kopfschmerzen".

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Nervosität in der ersten Halbzeit. Ein junger Fan meint: "Wie die Schweiz bis jetzt gespielt hat, ist sehr okay." – Und die Türkei? – "Nicht so okay." "Der Frust sitzt noch vom ersten Spiel tief", meint Hirner. "Das erste Spiel zu verlieren, ist bitter", sagt der Redakteur. Als Österreicher weiß er, wovon er spricht.

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Hitze steigt auf im Salon "Ich habe um einen Hugo Boss-Anzug gewettet, dass die Türkei gewinnt. Beten Sie für mich! Ich bezahle auch dafür!", ersucht dieser Fan (li.) in der ersten Reihe. "So viel Regen sind die türkischen Spieler eben nicht gewöhnt", erklärt sein Schwager (re.).

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Endlich das 1:1.

Die Spannung steigt bei Jung...

...und Alt.

Weiter skeptisch der Chef: "Meine Großmutter spielt besser als die da."

Das zweite Tor fällt ...

... und endlich kommt Stimmung auf...

Sie singen "Türkiye" und "Auf Wiedersehen!". Mit Letzterem ist nicht nur die Schweizer Mannschaft gemeint...,

...sondern auch das Lokal: Wenige Minuten nach Spielende ist das "Kent" leer.

"Super-Fan" hat seine Arbeit getan,...

...und geht zurück in die Nacht. (mas, derStandard.at, 12.6.2008)