Mit Thrillern wie "Robocop" oder "Basic Instinct" wurde der niederländische Hollywood-Regisseur Paul Verhoeven berühmt - und für seine tiefschwarze Weltsicht oft verdammt. Patrick Roth sprach mit ihm über seinen bald auch in Österreich gezeigten Schocker "Hollow Man". STANDARD: Sie beginnen Hollow Man , indem Sie das Unglaubliche einfach überspringen. Es ist bereits geschehen, liegt schon hinter uns, ist Tatsache: Man hat Tiere, auch Primaten, unsichtbar gemacht. Ein Team von Wissenschaftlern bemüht sich lediglich, sie wieder sichtbar zu machen. Verhoeven: Ich muss zugeben, mich zog dabei vor allem das technische Problem an. Wie filmt man das? Nach jedem Special-Effects Film schwöre ich mir: "Nie wieder!" Dann sind es gerade die mathematischen bzw. physikalisch-praktischen Probleme solcher Sequenzen, deren Ausarbeitung mich wirklich reizt. Sicher: "Digital ist alles möglich" - aber wie zeigen wir's? Wie lassen wir's möglich erscheinen? Die Idee, das unsichtbare Subjekt in einzelnen dünnen anatomischen Schichten wiedererstehen zu lassen, schien mir die visuell expressivste Lösung. Meine Tochter inspirierte mich, als sie mir den Ausstellungskatalog eines alten anatomischen Museums in Florenz zeigte. STANDARD: Digitale Zauberei ist auch weniger entscheidend für den Erfolg dieser Sequenzen als der Einfall, jemanden unter Schmerzen aus der Unsichtbarkeit erstehen zu lassen. Eine Art Geburt wird da gezeigt. Man wird durch den Schmerz zum Für-wahr-Nehmen der Spezialeffekte überredet. Verhoeven: Ja, ich versuche immer zu vermeiden, dass der Zuschauer nur Effekte bestaunt, die Charaktere dabei aus den Augen verliert. Ich mochte deshalb Andrew Marlowes Drehbuch wirklich sehr, weil es mich gerade mit der Beschreibung von Emotionen atemlos hielt. STANDARD: Warum greifen Sie dann aber auf das bewährte "Alien"-Muster zurück? Ein Horror-Kammerspiel in futuristischen Korridoren, die alte Jagd nach dem "Ungeheuer", der rote pulsierende Punkt auf den Suchmonitoren von "Wissenschaftern"? Verhoeven: Die zweite Hälfte des Films ist konventioneller, das gebe ich zu. Es ist das alte "Geisterhaus"-Muster. Aber wenn ich die Story geöffnet und diesen Mann, den die Unsichtbarkeit in einen Verbrecher und Mörder verwandelt, in großem Stil auf die Allgemeinheit losgelassen hätte, wäre es dann nicht "allgemein" geblieben? In frühen Versionen des Drehbuchs gab es Szenen, die ihn etwa im Weißen Haus zeigten: Er schleicht sich rein, drückt auf den nuklearen Knopf, den "red button", etc. Das fand ich alles abwegig. Die Kammerspielform half mir, das Thema schärfer zu zeichnen. STANDARD: Weil Sie vom "Zeichnen" reden . . . Warum findet man in Ihren Filmen immer wieder diese pubertär wirkenden visuellen Auftritte? Man hat plötzlich den Eindruck, Sie hätten eine Szene aus irgendeiner Teenager-Sexkomödie eingeschoben. Verhoeven: Vielleicht, weil ich weiß, dass die Kritiker das hassen (lacht). Die Leute sagen mir: "Du spinnst, das ist zu viel, das kannst du nicht zeigen!" Und gerade das provoziert mich. Wenn die Leute meinen: "Na, das wird er nicht zeigen . . .", zeig ich's. Es würde mir sonst zu langweilig. STANDARD: Nochmal zurück zum Thema bzw. Sujet des Films. In einem Interview erwähnten Sie dazu Platon... Verhoeven: Platon war der Erste, der es vor 2500 Jahren ansprach. In seiner Politeia schrieb er über Unsichtbarkeit. Er fragte sich: Was würde geschehen, wenn ein Mann sich unsichtbar machen könnte? Er würde in die Häuser eindringen, die Frauen vergewaltigen, die Ehemänner töten. Er würde sich für einen Gott halten, gottgleich handeln. Die Übermacht, die dir die Unsichtbarkeit vermittelt, verleitet zum Bösen. Und die Neugier! Unsere Neugier ist nicht zu stoppen. Die Ethik hängt der kontemporären Wissenschaft fatal hinterher. Das Eigentliche, fürchte ich, werden wir immer zu spät lernen. Erst muss die Atombombe auf Hiroshima fallen, bevor uns klar wird, womit wir's in jeder Hinsicht zu tun haben. STANDARD: Könnte man nicht argumentieren, dass unsere "Lust auf Unsichtbarkeit" auch eine Reaktion auf allzu große Sichtbarkeit ist: auf die Furcht, der Staat, die Polizei könne zu viel von uns "wissen"? Verhoeven: Ja, es ist kurios. Gerade wenn ich an TV-Produktionen wie Big Brother denke: Alle sind sichtbar, alles wird sichtbar gemacht, von zig Kameras erfasst. Und zu Hause sitzen sie und wollen das sehen, wollen das hören. Wollen Voyeure sein. Warum? Als Voyeure sind wir unsichtbar. Es ist die einzige lustvolle Form von Unsichtbarkeit, die uns möglich ist. Und ich glaube, da ist noch was anderes im Spiel. Die Zuschauer wollen diesen Leuten zusehen, um etwas zu hören, etwas zu sehen, was sie an sich selbst nicht mehr erkennen können. Wenn du dich selbst betrachten könntest, würdest du dir doch Big Brother nicht ansehen. Man will es aber gerade deshalb an anderen Leuten sehen, weil man sich selbst gegenüber blind geworden ist. STANDARD: Sehen Sie hier nicht auch einen ironischen Zusammenhang zu Ihrem einstigen Showgirls -Debakel? Inwiefern waren die Amerikaner, die diese Satire auf US-Wege zum Ruhm verdammt haben, "blind"? Verhoeven: Na ja, den Film hat kaum einer gemocht. Oder richtig gesehen. Seine Eleganz, seine raffinierten Kamerafahrten zum Beispiel wurden nie erwähnt. Warum? Weil zu viel zu sehen war! Die Amerikaner zum Beispiel haben nur noch Busen gesehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 9. 2000)